Zu viele im Abwärtssog
Standpunkt von Peter Januschke in der Allgäuer Zeitung vom 16.02.2005
<<< Mit freundlicher Erlaubnis >>>
Dauernd wird geklagt, dass die Menschen zu wenig Geld ausgeben. Nur weil sie zurzeit auf Nummer sicher gehen ?
Wohl eher, weil viele zu wenig zum Ausgeben haben. Doch belegt ist das nicht. Rätselraten überall, wo darüber geredet wird.
Kurioserweise erhält man beim Streifzug durchs Allgäu zunächst einen völlig anderen Eindruck; Geschäfte und Kaufhäuser
sind voll, Ferienorte sind voll, Skipisten sind voll. Und überall wird gut Geld ausgegeben. Wer einen sicheren Arbeitsplatz
hat (soweit für Nicht-Beamte ein Arbeitsplatz überhaupt noch sicher sein kann), wer vielleicht zusammen mit seinem Partner
Doppelverdiener ist, lässt es sich oft gut gehen. Warum auch nicht.
Das Problem liegt anderswo. Der Verdacht: Schleichend bricht der Mittelstand auseinander, und ein Teil bricht eben nach unten
weg. Hinweise darauf gibt es genügend: Banken ziehen häufiger die Notbremse, wenn Konten extrem überzogen werden. Energieversorger
liefern mehreren tausend Kunden keinen Strom mehr, weil alle Mahnungen verpuffen.
Zur Schuldnerberatung der Diakonie geht nur, wer nicht mehr weiter weiß. Trotzdem steigt seit Jahren der Andrang. Der
Durchschnittsfall lässt die Verzweiflung erahnen: Wie sollen zwei Personen, die mit etwas mehr als 800 Euro im Monat auskommen
müssen, jemals 35000 Euro Schulden abzahlen ?
Finanzknappheit bis hin zur Armut ist dennoch öffentlich kaum wahrzunehmen. Menschen im finanziellen Abwärtssog ziehen sich oft
zurück, tauchen ab. Es hat fast den Eindruck, dass das Dilemma auch keiner sehen will. Jeder Krimskrams wird heute statistisch
erfasst, über die gesellschaftlichen Veränderungen bei der Finanzkraft der Bevölkerung gibt es keinerlei harte Zahlen.
Der Versuch einer Annäherung - trotz der damit verbundenen Unschärfen. Zunächst alle zusammenzählen, die spitz rechnen müssen:
Alle Arbeitslosen; alle Hartz IV-Empfänger; alle Minijobler, die außer den maximal 400 Euro nichts verdienen; die Sozialhilfeempfänger
wie Wohngeldberechtigte; dazu Kleingruppen wie Leute, die mit einer Ich-AG eine neue Existenz aufbauen wollen. Das ganze ins
Verhältnis gesetzt zu den 200 000 Sozialversicherungspflichtigen in der Region - heraus kommt eine erschreckende Zahl: 37 Prozent
im Allgäu geht es finanziell bescheiden.
Wer keinen Partner mit Arbeit hat, nicht auf Erspartes zugreifen kann oder erbt, o je.
Vor zehn Jahren wurde der Anteil der "Minderbemittelten" (ein grausiges Wort) auf deutschlandweit 22 Prozent geschätzt.
Welche Entwicklung.
Wp führt das hin ? Diejenigen, die Geld haben, können auch nicht mehr als konsumieren. Wer sollte die Nachfrage beleben ?
Die Gruppe der 37-Prozent nicht. Für die baut die Diakonie in Kempten gerade ein Gebrauchtwaren-Kaufhaus.
An den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kann in der Region niemand etwas ändern. Doch nachdenklich machen sollte der
dramatische Trend auch vor Ort: Zum Beispiel Arbeitgeber, die Vollzeitarbeitsplätze in Minijobs umwandeln. Vor allem gilt
eines: Niemand sollte denken, selbst schuld, wer abrutscht. In den finanziellen Strudel kann heute fast jeder geraten. Wer
etwas älter ist und arbeitslos wird, tut sich trotz aller Qualifikation und Erfahrung schwer. Das ist Realität: Jeder dritte
Arbeitslose über 50 ist schon länger als zwei Jahre ohne Job. Das heißt, früher gut verdient, mehr schlecht als recht mit dem
Arbeitslosengeld gelebt und plötzlich bei Hartz IV mit ein paar hundert Euro auskommen. Solche Menschen brauchen unsere
Solidarität, keinesfalls aber Naserümpfen.
Mein Kommentar: dieser Artikel deckt sich mit meinen Beobachtungen. Der Mittelstand bricht schleichend auseinander und
niemand will es wahrhaben. Schauen wir nach Spanien, wo viele Rentner die Mülltonnen nach Essbarem durchwühlen, dann
können wir sehen, in welche Richtung es geht. Je eher wir "kleinen Leute" uns darauf vorbereiten, um so besser.