Der Kampf in der Seele von uns Menschen
Aus dem Buch des Psychologen L.J.Crabb: Soul-Talk
Wir kämpfen häufig an der falschen Front. Wir sind begeistert von Dingen, die Gott langweilen, von Dingen, die uns erst rotieren
und dann ermüden lassen: noch eine Initiative, noch eine Kampagne, noch eine neue Strategie. Unsere ganze Energie und unsere
Ressourcen fließen in Projekte und Programme, die sich prima vermarkten lassen, aber nicht das bewirken, was Gott vor allem
erreichen möchte.
Was ist schlimmer: Ein Programm zur Förderung der Gemeinschaft, das nicht in Gang kommt - oder eine einzelne Person, die
jeden Sonntag im Gottesdienst in der letzten Reihe sitzt und von niemandem je bemerkt wird ? Eine Sonntagsschulklasse, die
einmal Hunderte von Menschen anzog, jetzt aber auf dreißig Leute zusammengeschrumpft ist - oder ein Sonntagsschullehrer, der
sich wie ein Versager vorkommt und seine Gefühle einem mitfühlenden Freund gegenüber nicht offenbaren kann ? Eine Familie, die
durch die Trunksucht des Vaters zerrissen wird, die Frustration seiner Frau und die Lernbehinderungen ihres Sohnes in der dritten
Klasse - oder ein Vater, der sich selbst hasst, eine verängstigte Mutter und ein einsamer, kleiner Junge: drei Menschen, deren
Schönheit und Wert von niemandem je wahrgenommen werden ? Eine landesweite Kampagne, die es nicht schafft, dem Lebensrecht von
Ungeborenen Gehör zu verschaffen - oder eine alleinstehende Frau, die auf der Rückbank eines Taxis von der Abtreibungsklinik
nach Hause fährt: eine Frau, deren Seele von niemandem je berührt wird ?
Vielleicht bemerken wir sogar den unbekannten Gast im Gottesdienst; vielleicht fragen wir uns, wie es dem Lehrer der schrumpfenden
Klasse wohl gehen mag; vielleicht sorgen wir uns um jedes Mitglied der zerrissenen Familie, und vielleicht empfinden wir die
Schuldgefühle und den Schmerz einer Frau mit, die dem Leben ihres Babys ein Ende hat machen lassen. Aber wir tun das, was
uns am leichtesten fällt: wir entwerfen Programme, diskutieren über Möglichkeiten, mehr Leute in den Gottesdienst zu bekommen,
und kämpfen in unserer Empörung über die Scheidungsstatistiken und Abtreibungszahlen für die Werte der Familie.
Alles gut und schön, aber wir redennicht mit dem einsamen Gast auf der Kirchenbank, wir fragen den Sonntagsschullehrer
nicht, wie er sich fühlt, wir drücken uns davor, den Vater zum Golfspielen, die Frau zum Mittagessen oder den kleinen Jungen
zum Spielen mit unseren Kindern einzuladen; wir geben der Frau, die abgetrieben hat, nicht zu verstehen, daß wir uns
um ihre Seelesorgen.
Natürlich ist die fehlende Zeit ein Problem. Aber das größere Problem ist unser Unbehagen darüber, wie wir mit Menschen in Not
sprechen sollen. Die Folge ist, daß niemand je in diese Seelen vordringt. Menschen bleiben unbekannt, unentdeckt und unberührt,
während die Programme gedeihen, die Dienste wachsen und die Kampagnen Schlagzeilen machen.
Programme, Größe und moralische Empörung sind zum Ersatz für die Sprache der Seele geworden. Natürlich sind viele von uns
unorganisiert, klein und gleichgültig gegen jeder Art von Übel, das unser Leben nicht direkt betrifft. Wir bleiben unter uns,
widmen uns unserem persönlichen Komfort und bemühen uns, ihn zu sichern. Doch als Gesellschaft stützen wir uns auf die zentral
verwaltete Fürsorge für Körper und Seele, messen wir den Erfolg an der Größe und verwechseln Empörung über Sünde mit persönlicher
Heiligung und Empörung über die Dummheit anderer mit persönlicher Weisheit. Wir sind voller Leidenschaft mit großen Dingen
beschäftigt und kümmern uns um alles, nur nicht um den wahren Kampf, der in der menschlichen Seele stattfindet. Überall auf
der Welt erleiden unzählige Menschen die Tragödie eines nicht wahrgenommenen Lebens. Für Menschen, die sich verzweifelt danach
sehnen, bemerkt zu werden, Vergebung zu bekommen und im Tiefsten gewollt zu sein, gibt es nichts Schlimmeres.
Und das westliche Christentum steht dabei in der ersten Reihe. Visionäre rufen uns zu religiösen Aktivitäten auf, Unternehmer
entwerfen Strategien, wie die Aktionen umgesetzt werden können, Marketing-Experten verpacken die Aktionen, bis alle darüber
reden. Begabte Redner und Sänger stacheln uns zur Aktion an. Auch dies ist alles gut uns schön und hat seinen wichtigen
Platz - aber nicht den ersten Platz. Wichtiger ist, daß jeder, der leitet, jemanden hat, der ihn gründlich kennt, nicht eine
große Menschenmenge oder eine Arbeitsgruppe, sondern eine Person, einen engen Freund, einen vertrauten Gefährten. Und nicht
nur jemanden, dem er Rechenschaft für sein Tun gibt, sondern der ihn in einer vertrauten, verwundbaren, schmerzhaft-realen,
dauerhaften Beziehung wirklich kennt.