Der Glockenkrieg von Schrattenbach 1772
Max Maurus (1906-1985) aus Wiesenthal schrieb eine Chronik, datiert 1981, deutsche Schrift,
ein DIN-A5-Heft voll. In dieser Chronik berichtet er über einen Vorfall von 1772, der in seiner
Familie über Generationen mündlich überliefert wurde. Die Geschichte ist jetzt noch bei den der-
zeitigen Nachfahren bekannt.
Aufgrund der genauen Angaben, auch Namen, ist davon auszugehen, dass der Kern der Geschichte in
Bezug auf die Nikolausglocke in der Pfarrkirche in Schrattenbach wahr ist.
Die geschichtlichen Fakten dazu:
Gegossen wurde die Glocke 1772 in Memmingen, gestiftet vom Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein.
Ausgangspunkt der Überlieferung ist Xaver Kuttler, 1772 auf dem Hof An der Steige 2, in Schrattenbach.
Ein Enkelin, Anna Maria Kutter, heiratete 1866 in Rauhmühle den Bauern Kornel Maurus. Deren Sohn Joh-
hann heiratete nach Wiesentahl. Anna Maria war also die Großmutter von Max Maurus, der die Geschichte
a
aufschrieb (sprachlich bearbeitet von Remigius Rauch).
Im Jahr 1917 war unsere Großmutter vor Weihnachten wie jedes Mal so 14 Tage bei uns auf Besuch in Wiesen-
thal. An einem Abend machten wir 4 Schüler gerade die Aufgaben. Als wir fertig waren, sagte die Groß-
mutter: Ich muss euch heute noch eine Geschichte erzählen von meinen Großeltern, von Xaver Kutter, was
in Schrattenbach einmal geschah. Der damalige Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein stifete den
Schrattenbachern im Jahr 1772 die große Glocke. Sie wurde im Juni 1772 in der großen Glockengießerei
Geschwister Melchior und Johann Ernst in Memmingen gegossen. An dem Tag, als sie gegossen wurde, war der
Fürstabt von Kempten gekommen und warf oben im Ofen ein Säckchen Silber hinein, bevor der Guss fertig
war. Er soll gesagt haben, dass sie einen schönen Klang haben soll. (Wahrheit oder Ausschmückung?)
Von Schrattenbach sollen viele Bürger dem Guss in Memmingen beigewohnt haben. Als die Glocke dann fertig
war, wurde sie im Juli von den Bauern in Schrattenbach mit Brückenwagen in Memmingen abgeholt. Sie
hatte ein Gewicht von 24 Zentnern (=1,2t).
Viele Schrattenbacher sollen sie in Eichholz abgeholt haben. Alles sei in festlicher Stimmung gewesen.
An einem Sonntag wurde sie von Pfarrer Basil Adam Hummel am Kirchplatz geweiht. Dann wurde sie aufge-
zogen und oben von der Firma Ernst montiert.
Kaum war sie eine Woche auf dem Turm, da kamen die Dietmannsrieder Bauern mit pferdebespannten Wagen
und mit einem langen Seil zum Kirchplatz herauf und wollten den Schrattenbachern diese Glocke abnehmen.
Sie sollen gesagt haben, die Schrattenbacher brauchen doch keine so große Glocke, diese tun wir auf den
Dietmannsrieder Turm hinauf.
Als aber die Schrattenbacher Bauern dieses merkten, nahm eurer Ururgroßvater Xaver Kutter sofort eine
Mistgabel, so auch die Nachbarn, alle haben sich bewaffnet mit Mistgabeln und standen vor der Kirchen-
türe. Sie stellten sich vor die Dietmannsrieder Bauern hin und sagten, wir erstechen euch, wenn ihr
nicht bald geht. Die Frauen vom Unterdorf kamen gleich mit Dreschflegeln herauf, um auch die Dietmanns-
rieder Bauern abzuwehren. Eine Stunde lang dauerte dieser "Kampf",bis die Dietmannsrieder unverrichteter
Dinge wieder abzogen.
Um den Wahrheitsgehalt der Erzählung zu überprüfen, schreibt Max Maurus: Als ich noch Schüler war, fragte
ich den damals ältesten Bürger von Schrattenbach, Anton Reichart, geboren 1853, ob er noch etwas von
der Glockengeschichte wisse. Er sagte, ja, es soll mal einen Glockenkrieg gegeben haben in Schrattenbach.
Das weiß ich noch von meinen Großeltern. Aber sonst wisse er nichts mehr.
Die Nikolausglocke läutet immer noch in Schrattenbach. Sie musste allerdings 1942 zu Kriegszwecken abge-
liefert werden und kam ins Glockensammellager nach Hamburg. Dort wurde sie nach Kriegsende wieder gefunden
und kehrte 1947 zur Freude der Schrattenbacher in den Ort zurück, wo sie heute noch mit ihrem sonoren Klang
zum Gottesdienst ruft.
Autor: Remigius Rauch, Schrattenbach, mit freundlicher Genehmigung.