Rechte für Bürger oder Konzerne ? Eine Kritik der EU-Verfassung

Artikel aus der Zeitschrift Factum / Autor: Eugen Schmid
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Am 25. März 2007 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Berlin. Anlass war der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 in Rom. Damit wurde die Montanunion gegründet, aus der später die EWG hervorging. In der Presse wird resümiert, was die Politik der EU für uns gebracht hat. Das Ergebnis fällt durchaus nicht immer positiv aus. Aus diesem Anlass sind auch kritische Anmerkungen zu politischen, wirtschaftlichen und militärischen Fragen anzubringen. Die mangelhafte demokratische Legitimation der EU, ihr neoliberaler Wirtschaftskurs und ihre militärische Zielrichtung sind zu kritisieren.
Vor zwei Jahren arbeitete ein Konvent, der von den Regierungen eingesetzt wurde, eine EU-Verfassung aus, die aber von den Niederlanden und Frankreich in Volksabstimmungen nicht angenommen wurde. Die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, momentan die Präsidentin des Europäischen Rates, will eine neue Strategie entwickeln, wie die EU-Verfassung wieder aufgegriffen werden kann. Wie ist ihr Plan ? In der gemeinsamen Berliner Erklärung des Europäischen Rates wurde vereinbart, daß bis zu den Neuwahlen für das Europäische Parlament im Jahre 2009 eine "erneuerte gemeinsame Grundlage" für die EU-Politik erarbeitet werden soll.

Die demokratische Legitimation der EU-Politik kann aus verschiedenen Gründen bemängelt werden. Der Konvent, der die EU-Verfassung erarbeitete, hatte keine Legitimation durch den Volkssouverän, sondern er wurde von oben durch die Regierungen eingesetzt. Es gab nicht in allen Ländern eine Volksabstimmung. Insofern ist die EU-Verfassung im doppelten Sinne nicht demokratisch legitimiert.
Weiterhin müsste eine wirkliche demokratische europäische Verfassung klar, überschaubar und für alle Bürgerinnen und Bürger verständlich sein. Das Grundgesetz mit seinen 67 Seiten entspricht dem weitgehend, der EU-Verfassungsentwurf entspricht dem mit seinen annähernd Seiten nicht. Um von der Vielfalt der in Europa vereinigten Völker mit ihren unterschiedlichen Kulturen akzeptiert zu werden, sollte die EU-Verfassung ausserdem minimalistisch sein. Die meisten Einzelbestimmungen in dem vorliegenden Entwurf können durch einfache Gesetze geregelt werden, die dann auch leichter änderbar wären. Einschränkende Erläuterungen, Anhänge und Zusatzprotokolle könnten und sollten dann entfallen.

In der EU-Verfassung werden wesentliche Punkte einer demokratischen Verfassung unklar oder gar nicht festgelegt. Zudem werden Sachverhalte festgeschrieben, die eigentlich nicht in eine Verfassung gehören. Wie im Grundgesetz sollte sich die europäische Verfassung auf die Festlegung der Grundrechte und Verfassungsorgane sowie die Regelung der vertikalen Gewaltenteilung beschränken. Die Zuständigkeiten zwischen den unterschiedlichen Ebenen der EU, Nationalstaat, Regionen und Kommunen sollten klarer definiert sein. Anstelle der Verteilung der Kompetenzen hat der Ministerrat zu viel Macht und kann so in die unteren Ebenen hineinregieren. Schon heute werden 80 Prozent der Wirtschaftsgesetze und für die restlichen Politikbereiche 50 der Gesetze für Deutschland von der EU bestimmt. Sie müssen nur noch in nationale Gesetze gefasst werden. Auf diesem Wege werden die Parlamente ausgeschaltet. Politische Entscheidungen, die auf regionaler Ebene leicht und unbürokratisch gelöst werden könnten, werden ungerecht und kompliziert, wenn sie von Brüssel festgelegt werden.
Das sieht man besonders in der Landwirtschaftspolitik, in der Agrarfabriken systematisch gefördert werden und auf die Erhaltung von kleineren und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben keine Rücksicht genommen wird.

Anmerkung vom Illerschorsch: im Allgäu leider auch ein Trend, das "Höfesterben"

Mit dem Untertitel "Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln" brachte Hans Herbert von Arnim sein EU-kritisches Buch "Das Europa-Komplott" heraus. Von Arnim greift die demokratischen Vorgaben der EU erheblich an. Das Europäische Parlament wird zwar direkt von den Bürgern Europas gewählt, jedoch ist die Kompetenz dieses Parlaments mit der des Bundestages nicht vergleichbar. Eine Gewaltenteilung wird nicht strikt durchgeführt, denn die Exekutive und die Legislative liegen hauptsächlich beim Ministerrat. In geheimen Sitzungen werden die Gesetze beraten und darüber abgestimmt. Das Europäische Parlament hat das Recht, bei der Gesetzesarbeit mitzuwirken und zu korrigieren, aber letztlich werden die Gesetze mit qualifizierter Mehrheit vom Ministerrat erlassen. Zudem wird eine Flut von Verordnungen von der Kommission herausgegeben. Das EU-Parlament ist berechtigt, in Haushaltsfragen mitzusprechen, kann an die Kommission Anfragen stellen und ein Misstrauensvotum gegenüber der ganzen Kommission einbringen. Dass Gesetze har auf Antrag des Gerichtshofes oder der Europäischen Investitionsbank erlassen werden können, hat mit Demokratie oder Gewaltenteilung nun gar nichts mehr zu tun.
In der EU-Verfassung wird ein neoliberaler Wirtschaftskurs mit neuen imperialen Elementen festgeschrieben. Dieser zeichnet sich durch bestimmte Methoden aus, der global players und das Grosskapital unterstützt. Durch das Verschwinden der Grenzen können große Firmen mühelos europaweit ihre Aktivitäten ausbauen und durch Aufkauf von Konkurrenzfirmen immer mehr marktbeherrschende Stellungen einnehmen. Durch Auslagerung von Fertigungen ins Ausland gehen Arbeitsplätze verloren. Das Management von Großkonzernen wird von Kosteneinsparungen und Rationalisierungsmassnahmen bestimmt und nicht von einer sozial ausgewogenen Personalpolitik. Dabei verfolgt die Industrie bestimmte Methoden:

1. Eine Methode ist die Just-in-time-Produktion in Verbindung mit der Ausgliederung von Produktionseinheiten an Zulieferer (sub-contracting), auch lean production genannt (verschlankte Produktion). Hiermit werden kleinere und mittlere Unternehmen unter Konkurrenzdruck gesetzt, die Kosten für Lagerung und präzise Zulieferung zu übernehmen. Manche Firmen haben selbst gar keine Produktionsanlagen mehr, sondern liefern nur noch Design und Namen, wie etwa Nike. Diese Firma lässt Schuhe zu Niedriglöhnen und fraglichen Arbeitsbedingungen in Ländern des Südens und in China anfertigen, um sie zu Höchstpreisen zu vermarkten.
2. Gleichzeitig versuchen die Grosskonzerne so viel menschliche Arbeitskraft wie möglich durch Technik zu ersetzen. Die hierdurch entstehende strukurelle Erwerbslosigkeit wird dazu benutzt, Löhne zu senken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Das können wir täglich in den Zeitungen studieren. Aktuell beabsichtigt Airbus, in Deutschland Arbeitsplätze abzubauen, obwohl die Auftragsbücher über Jahre gefüllt sind. Die Betriebsräte werden nicht nur nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden, sondern werden nicht einmal über die Strategie des Topmanagements informiert. Betriebsräte werden systematisch entweder unterlaufen oder kaum beachtet.
Vermehrt werden Gewinne überhaupt nicht in die reale Wirtschaft reinvestiert, sondern andere Firmen werden aufgekauft und saniert, sprich Arbeiter entlassen. Oder das Kapital wird in spekulative Finanzgeschäfte gesteckt, um das Kapital zu akkumulieren. Durch die Fusionen und die spekulativen Finanzgeschäfte gibt es kein Wachstum der realen Wirtschaft, sondern nur eine immer stärkere Konzentration des Kapitaleigentums. Die hohen Gewinne in diesem Bereich üben dann zusätzlich einen großen Druck auf die reale Wirtschaft aus, die Kosten zu senken, um eine ähnliche Wertschöpfung zu gewährleisten.
4. Die globalisierte kapitalistische Wirtschaft setzt die nationalen Regierungen unter Druck, im auf verschiedene Weisen die Profitraten zu verbessern. Die Druckmittel sind vor allem die Drohung, das Kapital in andere Länder abzuziehen, in denen die Verwertungsbedingungen günstiger sind. Doch es entpuppte sich als plumpe Lüge, durch bessere Steuer- und Subentionsbedingungen würden Arbeitsplätze geschaffen. Dennoch setzen die Regierungen der Politik fort, das Grosskapital durch Steuersenkungen und Subventionen zu unterstützen. In Deutschland fiel der Anteil der Gewinnsteuern am Gesamtsteueraufkommen von 32,6 Prozent 1960 auf 12,3 Prozent 1998. Die Vermögenssteuer wurde durch die Regierung Kohl überhaupt abgeschafft. Danach setzte die rot-grüne Regierung mit ihrer Steuerreform diesen Trend ungebrochen fort. Sie senkte unter anderem die Spitzensteuersätze und schaffte die Steuern auf den Verkauf von Firmenanteilen ab, was das Fusionsfieber stärkt und deshalb bei Großbanken heftigen Applaus auslöste. Von 1980 bis 1995 stiegen die Steuern auf abhängige Arbeit. Hinzu kommt die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die insbesondere die ärmeren Schichten trifft.
5. Eine ausserordentliche Form, die Sozialpflicht des Eigentums aufzuheben, ist die Staatsverschuldung. Insgesamt gehen mindestens 25 Prozent der Steuereinnahmen in den Schuldendienst. So zahlt der Staat den mit Abstand größten Teil seiner Schuldzinsen an die Privatwirtschaft. Die wenigen Steuern, die das Grosskapital überhaupt noch zahlt, holt es sich über die Kredite an den Staat wieder herein, das heisst, es gewinnt zweimal an der Steuervermeidung. Entsprechend müssen die Lohnabhängigen mit ihren immer höheren Steuern, die zwangsweise eingezogen werden, und mit den steigenden Mehrwertsteuern auf den Konsum diese Subvention an das Privatkapital zahlen.
6. Die Privatisierung von Staatsbetrieben und öffentlichen Diensten ist eine weitere Form, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums abzubauen. Die Privatisierung erfolgt nämlich nach dem Muster, die "Filetstücke" zu privatisieren, während die nicht gewinnbringenden gesellschaftlich notwendigen Dienste beim Staat bleiben. So kann der Staat nicht mehr die Gewinne im einen mit den Verlusten in anderen Bereichen ausgleichen. Die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert.
7. Die Privatisierung der Natur und des Lebens in seinen Grundelementen ist der Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Wasser wird zunehmend privatisiert. Das Kyoto-Protokoll macht die Verschmutzung der Luft zu einer Handelsware. Seit langem stehlen die wenig übrig gebliebenen Saat-Multis Saatgutsorten aus Ländern der Zweidrittelwelt, verändern einzelne Gene leicht, patentieren sie, um das Saatgut dann jährlich, zusammen mit Düngemitteln und Pestiziden zu teurerern Preisen an die Bauern zurückzuverkaufen. Die Gentechnologie bietet keine Garantie für die Würde des Menschen. Die Privatisierung des menschlichen Erbgutes setzt dieses der grenzenlosen Manipulation aus - mit vollständig unvorhersehbaren Folgen.
Die EU-Vertreter versprechen weitere Arbeitsplätze - doch stattdessen werden laufend tausende von Arbeitsplätzen abgebaut wegen den Fusionen und Rationalisierungsmassnahmen von Grosskonzernen. Um weiter Betriebskosten zu sparen, wird Lohndumping durchgeführt. Ganze Belegschaften verzichten auf Lohnerhöhungen, um ihren Arbeitsplatz überhaupt erhalten zu können. In Deutschland gibt es 7000 Zeitarbeitsfirmen, die auf befristete Zeit Arbeiter zur Verfügung stellen, und dies zu niedrigen Löhnen. so setzt diese 2. Belegschaft die 1. Belegschaft unter Druck. Es gibt Firmen, in denen sich die Arbeiterschaft schon zu einem Drittel aus Zeitarbeitsfirmen rekrutiert.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG 26.1) wird ein Angriffskrieg verboten. Lediglich ein Verteidigungskrieg ist prinzipiell möglich. Solch einen Artikel gibt es in der EU-Verfassung nicht mehr. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die EU- Mitglieder werden angehalten, eine systematische Aufrüstung zu betreiben, und das auf neuestem technologischen Stand für den Zweck der offensiven Einsetzung zur Wahrung europäischer Interessen in der Welt. Und diese Interessen werden überwiegend wirtschaftlicher Natur sein, denn schon heute sind wir mitten in einem Wettlauf um die Resourcen der Erde. In Krisengebieten, in denen wir mit Rohstoffinteressen vertreten sind, sollen Interventionen möglich sein. In der Verfassung wird dabei nicht von einem militärischen Angriff gesprochen, sondern lediglich von der Durchführung einer "Mission" oder einer "Operation". Weiter wird in diesem Zusammenhang von einer Verantwortung in der Welt gesprochen.
Programmatische Punkte der europäischen Politik schliessen sich gegenseitig aus. Es wird vorgegeben, den Wohlstand der EU-Bürger zu garantieren und sogar zu heben. Das soll dadurch erreicht werden, dass die Preise für Nahrungsmittel, Kleidung und andere Verbrauchsgüter sehr niedrig gehalten werden. Das kann von Grosskonzernen gewährleistet werden durch Rationalisierung, Fusionen, Auslagerungen von Produktionen in Billiglohnländer, Abbau sozialer Verantwortung, Massenentlassungen und niedrigen Löhnen. Aus diesem Grund muss die EU einen möglichst freien Wettbewerb fordern. Auf der anderen Seite nimmt gerade durch diese neoliberale Wirtschaftspolitik die Armut in Deutschland zu, weil immer mehr Arbeitsplätze wegfallen und die Löhne fallen bis hin zu Dumpinglöhnen. Die Gehälter für Mitarbeiter werden gering gehalten, z. B. im Medienbereich, indem immer mehr Praktikumsstellen auf längere Zeit vergeben werden. Neue private Postzustelldienste bezahlen ihre Mitarbeiter mit Dumpinglöhnen. Ziel der EU- Politik ist es, das Monopol der Post zu zerschlagen. In Deutschland wird seit längerem darüber diskutiert, ob man Mindestlöhne einführen soll.

Der Verfassungsentwurf der EU hat erhebliche demokratische Defizite und gibt einseitig einen bestimmten Wirtschaftskurs vor. Grundlegend sollen alle Bereiche der Wirtschaft, solbst die Versorgung von Grundnahrungsmitteln, wie z. B. Wasser und öauch die verschiedenen Dienstleistungen, privatisiert werden. Insofern ist kaum mehr Raum vorhanden, soziale Verantwortung wahrzunehmen. Aber die Grossindustrie wird vermehrt hohe Gewinne machen und Manager erlauben sich weiterhin astronomische Gehälter.

Kritik kommt auch von anderer Seite. Papst Benedikt XVI. hat die Europäische Union in einer Rede zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge in scharfer Form kritisiert. Die EU entfremde sich von ihrer Bevölkerung, indem sie ihre christlichen Wurzeln verleugne, sagte das katholische Kirchenoberhaupt auf einer Konferenz der europäischen Bischöfe aus Anlass des EU-Jubiläumsgipfels in Berlin. "Es ist nicht möglich, ein wahres, gemeinsames europäisches Haus zu bauen, wenn man die Identität der Völker unseres Kontinents vernachlässigt", fügte er hinzu. Diese "geschichtliche, kulturelle und moralische" Identität basier auf gemeinsamen Werten, die das Christentum zusammenschmiede. Der Papst forderte die Christen auf, ein "neues Europa" zu schaffen. Dies solle ein "realistisches und nicht zynisches Europa" sein, inspiriert von der "ewigen Wahrheit des Evangeliums".

>> EU-Ratsvorsitzende Merkel ihrerseits proklamierte in ihrer Rede in Berlin den Frieden, Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung für die europäischen Bürger. Die EU-Politik basiere auf den Werten der Freiheit, Demokratie und Solidarität. Bei allen Bemühungen soll der Mensch im Mittelpunkt stehen. Der schönen Worte wurden in Berlin zum 50. Geburtstag der EU viel getan - werden Taten folgen ?