Rechte für Bürger oder Konzerne ? Eine Kritik der EU-Verfassung
Artikel aus der Zeitschrift Factum / Autor: Eugen Schmid
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Vor zwei Jahren arbeitete ein Konvent, der von den Regierungen eingesetzt wurde, eine EU-Verfassung aus, die aber von den
Niederlanden und Frankreich in Volksabstimmungen nicht angenommen wurde. Die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, momentan
die Präsidentin des Europäischen Rates, will eine neue Strategie entwickeln, wie die EU-Verfassung wieder aufgegriffen werden
kann. Wie ist ihr Plan ? In der gemeinsamen Berliner Erklärung des Europäischen Rates wurde vereinbart, daß bis zu den Neuwahlen
für das Europäische Parlament im Jahre 2009 eine "erneuerte gemeinsame Grundlage" für die EU-Politik erarbeitet werden soll.
Die demokratische Legitimation der EU-Politik kann aus verschiedenen Gründen bemängelt werden. Der Konvent, der die EU-Verfassung
erarbeitete, hatte keine Legitimation durch den Volkssouverän, sondern er wurde von oben durch die Regierungen eingesetzt.
Es gab nicht in allen Ländern eine Volksabstimmung. Insofern ist die EU-Verfassung im doppelten Sinne nicht demokratisch
legitimiert.
Weiterhin müsste eine wirkliche demokratische europäische Verfassung klar, überschaubar und für alle Bürgerinnen und Bürger
verständlich sein. Das Grundgesetz mit seinen 67 Seiten entspricht dem weitgehend, der EU-Verfassungsentwurf entspricht dem mit
seinen annähernd Seiten nicht. Um von der Vielfalt der in Europa vereinigten Völker mit ihren unterschiedlichen Kulturen
akzeptiert zu werden, sollte die EU-Verfassung ausserdem minimalistisch sein. Die meisten Einzelbestimmungen in dem vorliegenden
Entwurf können durch einfache Gesetze geregelt werden, die dann auch leichter änderbar wären. Einschränkende Erläuterungen,
Anhänge und Zusatzprotokolle könnten und sollten dann entfallen.
In der EU-Verfassung werden wesentliche Punkte einer demokratischen Verfassung unklar oder gar nicht festgelegt. Zudem werden
Sachverhalte festgeschrieben, die eigentlich nicht in eine Verfassung gehören. Wie im Grundgesetz sollte sich die europäische
Verfassung auf die Festlegung der Grundrechte und Verfassungsorgane sowie die Regelung der vertikalen Gewaltenteilung beschränken.
Die Zuständigkeiten zwischen den unterschiedlichen Ebenen der EU, Nationalstaat, Regionen und Kommunen sollten klarer definiert
sein. Anstelle der Verteilung der Kompetenzen hat der Ministerrat zu viel Macht und kann so in die unteren Ebenen hineinregieren.
Schon heute werden 80 Prozent der Wirtschaftsgesetze und für die restlichen Politikbereiche 50 der Gesetze für Deutschland
von der EU bestimmt. Sie müssen nur noch in nationale Gesetze gefasst werden. Auf diesem Wege werden die Parlamente ausgeschaltet.
Politische Entscheidungen, die auf regionaler Ebene leicht und unbürokratisch gelöst werden könnten, werden ungerecht und
kompliziert, wenn sie von Brüssel festgelegt werden.
Das sieht man besonders in der Landwirtschaftspolitik, in der Agrarfabriken systematisch gefördert werden und auf die Erhaltung
von kleineren und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben keine Rücksicht genommen wird.
Anmerkung vom Illerschorsch: im Allgäu leider auch ein Trend, das "Höfesterben"
Mit dem Untertitel "Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln" brachte Hans Herbert von Arnim sein EU-kritisches Buch
"Das Europa-Komplott" heraus. Von Arnim greift die demokratischen Vorgaben der EU erheblich an. Das Europäische Parlament wird
zwar direkt von den Bürgern Europas gewählt, jedoch ist die Kompetenz dieses Parlaments mit der des Bundestages nicht vergleichbar.
Eine Gewaltenteilung wird nicht strikt durchgeführt, denn die Exekutive und die Legislative liegen hauptsächlich beim Ministerrat.
In geheimen Sitzungen werden die Gesetze beraten und darüber abgestimmt. Das Europäische Parlament hat das Recht, bei der
Gesetzesarbeit mitzuwirken und zu korrigieren, aber letztlich werden die Gesetze mit qualifizierter Mehrheit vom Ministerrat
erlassen. Zudem wird eine Flut von Verordnungen von der Kommission herausgegeben. Das EU-Parlament ist berechtigt, in Haushaltsfragen
mitzusprechen, kann an die Kommission Anfragen stellen und ein Misstrauensvotum gegenüber der ganzen Kommission einbringen.
Dass Gesetze har auf Antrag des Gerichtshofes oder der Europäischen Investitionsbank erlassen werden können, hat mit Demokratie
oder Gewaltenteilung nun gar nichts mehr zu tun.
In der EU-Verfassung wird ein neoliberaler Wirtschaftskurs mit neuen imperialen Elementen festgeschrieben. Dieser zeichnet sich
durch bestimmte Methoden aus, der global players und das Grosskapital unterstützt. Durch das Verschwinden der Grenzen können
große Firmen mühelos europaweit ihre Aktivitäten ausbauen und durch Aufkauf von Konkurrenzfirmen immer mehr marktbeherrschende
Stellungen einnehmen. Durch Auslagerung von Fertigungen ins Ausland gehen Arbeitsplätze verloren. Das Management von
Großkonzernen wird von Kosteneinsparungen und Rationalisierungsmassnahmen bestimmt und nicht von einer sozial ausgewogenen
Personalpolitik. Dabei verfolgt die Industrie bestimmte Methoden:
1. Eine Methode ist die Just-in-time-Produktion in Verbindung mit der Ausgliederung von Produktionseinheiten an Zulieferer
(sub-contracting), auch lean production genannt (verschlankte Produktion). Hiermit werden kleinere und mittlere Unternehmen
unter Konkurrenzdruck gesetzt, die Kosten für Lagerung und präzise Zulieferung zu übernehmen. Manche Firmen haben selbst gar
keine Produktionsanlagen mehr, sondern liefern nur noch Design und Namen, wie etwa Nike. Diese Firma lässt Schuhe zu Niedriglöhnen
und fraglichen Arbeitsbedingungen in Ländern des Südens und in China anfertigen, um sie zu Höchstpreisen zu vermarkten.
2. Gleichzeitig versuchen die Grosskonzerne so viel menschliche Arbeitskraft wie möglich durch Technik zu ersetzen. Die hierdurch
entstehende strukurelle Erwerbslosigkeit wird dazu benutzt, Löhne zu senken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Das können
wir täglich in den Zeitungen studieren. Aktuell beabsichtigt Airbus, in Deutschland Arbeitsplätze abzubauen, obwohl die
Auftragsbücher über Jahre gefüllt sind. Die Betriebsräte werden nicht nur nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden, sondern
werden nicht einmal über die Strategie des Topmanagements informiert. Betriebsräte werden systematisch entweder unterlaufen
oder kaum beachtet.
Vermehrt werden Gewinne überhaupt nicht in die reale Wirtschaft reinvestiert, sondern andere Firmen werden aufgekauft und saniert,
sprich Arbeiter entlassen. Oder das Kapital wird in spekulative Finanzgeschäfte gesteckt, um das Kapital zu akkumulieren. Durch
die Fusionen und die spekulativen Finanzgeschäfte gibt es kein Wachstum der realen Wirtschaft, sondern nur eine immer stärkere
Konzentration des Kapitaleigentums. Die hohen Gewinne in diesem Bereich üben dann zusätzlich einen großen Druck auf die reale
Wirtschaft aus, die Kosten zu senken, um eine ähnliche Wertschöpfung zu gewährleisten.
4. Die globalisierte kapitalistische Wirtschaft setzt die nationalen Regierungen unter Druck, im auf verschiedene Weisen die
Profitraten zu verbessern. Die Druckmittel sind vor allem die Drohung, das Kapital in andere Länder abzuziehen, in denen die
Verwertungsbedingungen günstiger sind. Doch es entpuppte sich als plumpe Lüge, durch bessere Steuer- und Subentionsbedingungen
würden Arbeitsplätze geschaffen. Dennoch setzen die Regierungen der Politik fort, das Grosskapital durch Steuersenkungen und
Subventionen zu unterstützen. In Deutschland fiel der Anteil der Gewinnsteuern am Gesamtsteueraufkommen von 32,6 Prozent 1960
auf 12,3 Prozent 1998. Die Vermögenssteuer wurde durch die Regierung Kohl überhaupt abgeschafft. Danach setzte die rot-grüne
Regierung mit ihrer Steuerreform diesen Trend ungebrochen fort. Sie senkte unter anderem die Spitzensteuersätze und schaffte die
Steuern auf den Verkauf von Firmenanteilen ab, was das Fusionsfieber stärkt und deshalb bei Großbanken heftigen Applaus auslöste.
Von 1980 bis 1995 stiegen die Steuern auf abhängige Arbeit. Hinzu kommt die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die insbesondere die
ärmeren Schichten trifft.
5. Eine ausserordentliche Form, die Sozialpflicht des Eigentums aufzuheben, ist die Staatsverschuldung. Insgesamt gehen mindestens
25 Prozent der Steuereinnahmen in den Schuldendienst. So zahlt der Staat den mit Abstand größten Teil seiner Schuldzinsen an
die Privatwirtschaft. Die wenigen Steuern, die das Grosskapital überhaupt noch zahlt, holt es sich über die Kredite an den
Staat wieder herein, das heisst, es gewinnt zweimal an der Steuervermeidung. Entsprechend müssen die Lohnabhängigen mit ihren
immer höheren Steuern, die zwangsweise eingezogen werden, und mit den steigenden Mehrwertsteuern auf den Konsum diese Subvention
an das Privatkapital zahlen.
6. Die Privatisierung von Staatsbetrieben und öffentlichen Diensten ist eine weitere Form, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums
abzubauen. Die Privatisierung erfolgt nämlich nach dem Muster, die "Filetstücke" zu privatisieren, während die nicht
gewinnbringenden gesellschaftlich notwendigen Dienste beim Staat bleiben. So kann der Staat nicht mehr die Gewinne im einen mit
den Verlusten in anderen Bereichen ausgleichen. Die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert.
7. Die Privatisierung der Natur und des Lebens in seinen Grundelementen ist der Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Grundversorgung
der Bevölkerung mit Wasser wird zunehmend privatisiert. Das Kyoto-Protokoll macht die Verschmutzung der Luft zu einer Handelsware.
Seit langem stehlen die wenig übrig gebliebenen Saat-Multis Saatgutsorten aus Ländern der Zweidrittelwelt, verändern einzelne
Gene leicht, patentieren sie, um das Saatgut dann jährlich, zusammen mit Düngemitteln und Pestiziden zu teurerern Preisen an
die Bauern zurückzuverkaufen. Die Gentechnologie bietet keine Garantie für die Würde des Menschen. Die Privatisierung des
menschlichen Erbgutes setzt dieses der grenzenlosen Manipulation aus - mit vollständig unvorhersehbaren Folgen.
Die EU-Vertreter versprechen weitere Arbeitsplätze - doch stattdessen werden laufend tausende von Arbeitsplätzen abgebaut wegen
den Fusionen und Rationalisierungsmassnahmen von Grosskonzernen. Um weiter Betriebskosten zu sparen, wird Lohndumping durchgeführt.
Ganze Belegschaften verzichten auf Lohnerhöhungen, um ihren Arbeitsplatz überhaupt erhalten zu können. In Deutschland gibt es
7000 Zeitarbeitsfirmen, die auf befristete Zeit Arbeiter zur Verfügung stellen, und dies zu niedrigen Löhnen. so setzt diese
2. Belegschaft die 1. Belegschaft unter Druck. Es gibt Firmen, in denen sich die Arbeiterschaft schon zu einem Drittel aus
Zeitarbeitsfirmen rekrutiert.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG 26.1) wird ein Angriffskrieg verboten. Lediglich ein Verteidigungskrieg ist
prinzipiell möglich. Solch einen Artikel gibt es in der EU-Verfassung nicht mehr. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die EU-
Mitglieder werden angehalten, eine systematische Aufrüstung zu betreiben, und das auf neuestem technologischen Stand für den
Zweck der offensiven Einsetzung zur Wahrung europäischer Interessen in der Welt. Und diese Interessen werden überwiegend
wirtschaftlicher Natur sein, denn schon heute sind wir mitten in einem Wettlauf um die Resourcen der Erde. In Krisengebieten,
in denen wir mit Rohstoffinteressen vertreten sind, sollen Interventionen möglich sein. In der Verfassung wird dabei nicht von
einem militärischen Angriff gesprochen, sondern lediglich von der Durchführung einer "Mission" oder einer "Operation". Weiter
wird in diesem Zusammenhang von einer Verantwortung in der Welt gesprochen.
Programmatische Punkte der europäischen Politik schliessen sich gegenseitig aus. Es wird vorgegeben, den Wohlstand der EU-Bürger
zu garantieren und sogar zu heben. Das soll dadurch erreicht werden, dass die Preise für Nahrungsmittel, Kleidung und andere
Verbrauchsgüter sehr niedrig gehalten werden. Das kann von Grosskonzernen gewährleistet werden durch Rationalisierung, Fusionen,
Auslagerungen von Produktionen in Billiglohnländer, Abbau sozialer Verantwortung, Massenentlassungen und niedrigen Löhnen. Aus
diesem Grund muss die EU einen möglichst freien Wettbewerb fordern. Auf der anderen Seite nimmt gerade durch diese neoliberale
Wirtschaftspolitik die Armut in Deutschland zu, weil immer mehr Arbeitsplätze wegfallen und die Löhne fallen bis hin zu
Dumpinglöhnen. Die Gehälter für Mitarbeiter werden gering gehalten, z. B. im Medienbereich, indem immer mehr Praktikumsstellen
auf längere Zeit vergeben werden. Neue private Postzustelldienste bezahlen ihre Mitarbeiter mit Dumpinglöhnen. Ziel der EU-
Politik ist es, das Monopol der Post zu zerschlagen. In Deutschland wird seit längerem darüber diskutiert, ob man Mindestlöhne
einführen soll.
Der Verfassungsentwurf der EU hat erhebliche demokratische Defizite und gibt einseitig einen bestimmten Wirtschaftskurs vor.
Grundlegend sollen alle Bereiche der Wirtschaft, solbst die Versorgung von Grundnahrungsmitteln, wie z. B. Wasser und öauch die
verschiedenen Dienstleistungen, privatisiert werden. Insofern ist kaum mehr Raum vorhanden, soziale Verantwortung wahrzunehmen.
Aber die Grossindustrie wird vermehrt hohe Gewinne machen und Manager erlauben sich weiterhin astronomische Gehälter.
Kritik kommt auch von anderer Seite. Papst Benedikt XVI. hat die Europäische Union in einer Rede zum 50. Jahrestag der Römischen
Verträge in scharfer Form kritisiert. Die EU entfremde sich von ihrer Bevölkerung, indem sie ihre christlichen Wurzeln verleugne,
sagte das katholische Kirchenoberhaupt auf einer Konferenz der europäischen Bischöfe aus Anlass des EU-Jubiläumsgipfels in
Berlin. "Es ist nicht möglich, ein wahres, gemeinsames europäisches Haus zu bauen, wenn man die Identität der Völker unseres
Kontinents vernachlässigt", fügte er hinzu. Diese "geschichtliche, kulturelle und moralische" Identität basier auf gemeinsamen
Werten, die das Christentum zusammenschmiede. Der Papst forderte die Christen auf, ein "neues Europa" zu schaffen. Dies solle
ein "realistisches und nicht zynisches Europa" sein, inspiriert von der "ewigen Wahrheit des Evangeliums".
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EU-Ratsvorsitzende Merkel ihrerseits proklamierte in ihrer Rede in Berlin den Frieden, Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung
für die europäischen Bürger. Die EU-Politik basiere auf den Werten der Freiheit, Demokratie und Solidarität. Bei allen
Bemühungen soll der Mensch im Mittelpunkt stehen. Der schönen Worte wurden in Berlin zum 50. Geburtstag der EU viel getan -
werden Taten folgen ?