Das kleine Richardle - Der Badedag- 20.12.2022
Samstag ist Badetag im Allgäu, das war schon immer so. Früher sind die Menschen dann in graue Zinkwannen
gehockt und die Familie ist nacheinander abgeschrubbt worden. Kinder durften natürlich erst als Letzte in
das bis dahin sicherlich schon trübe Wasser steigen. So etwas ist heute schwer vorstellbar.
Später gab es bereits Badewannen und einen Ofen im Bad. Der wurde am Samstag Nachmittag mit Holz befeuert,
damit es am Abend dann für alle warmes Wasser gab. Soweit ich weiß, hatte man damals dann bereits das
Badewasser öfters ausgetauscht. Vielleicht nicht in allen Familien; so genau weiß ich es nicht.
Heutzutage hat man geflieste Duschen, natürlich alles in Grau und Glas. Die Badezimmer von heute sind
größer, als früher unsere Stube war. Die Ansprüche sind stark gestiegen. Wir als Kinder hatten eine Bade-
wanne, den Ofen und ein Waschbecken im Badezimmer, das war alles. Duschen gab es keine. Die sind erst auf-
gekommen, als die Leute keine Zeit mehr zum Baden hatten, weil in allen Belangen nur noch Eile geboten war.
Man warf die hellgrünen und rosaroten Fliesen aus den Badezimmern und gestaltete alles in Grau. Nur nicht
beim Schorsch, der hat immer noch sein hellgrünes Bad samt einem historischen Badeofen mit Holzfeuerung.
Selbstverständlich hängt auch der klassische Alibert-Badeschrank mit seinen drei Spiegeln an der Wand. Der
gehört einfach dazu.
Also: am Samstag wird gebadet. Nicht am Freitag oder am Sonntag, nein, am Samstag. Punkt. Warum ? Weil es
immer schon so war, das ist einfach so und so wird es auch bleiben. Da gibt es keine Diskussionen. Dies
gilt auch für das Richardle und den Schorsch.
Der kleine Richard darf wieder mal von Samstag auf Sonntag seinen Onkel Schorsch besuchen. Die Anweisungen
der Eltern lauteten: Erstens muss der Kleine rechtzeitig ins Bett, zweitens muss er am Samstag duschen und
drittens muss er genug warme Kleidung anziehen, wenn er nach draussen geht. Er darf sich nämlich nicht er-
kälten, weil er am Montag ja wieder in die Schule gehen muss.
Schorsch und Richardle kennen diese Anweisungen gut und sie wollen sie auch - wenigstens ungefähr - beachten.
Gut, das mit dem rechtzeitigen Zubettgehen ist natürlich Auslegungssache. Für den einen ist Acht Uhr recht-
zeitig, für den anderen aber Zehn Uhr. Schorsch und Richardle sind da eindeutig für Zehn Uhr.
Das mit der warmen Kleidung ist auch kein Problem, denn wenn Richard mit dem Schorsch draussen unterwegs ist,
dann hüpft und rennt er so wild in der Gegend herum und ist immer in Bewegung, daß es ihn überhaupt nicht
frieren kann, auch wenn er meistens Jacke und Mütze drinnen liegen lässt.
Nur der zweite Punkt macht Schorsch Sorgen. Das Richardle zu duschen ist schlimmer als eine Herde wilder
Schumpen auf die Weide hinauszutreiben. Denn Wasser mag Richard überhaupt nicht leiden, er würde es sogar
nicht vermissen, wenn es gar kein Wasser auf der Welt gäbe, so sagt er.
Ich weiß nicht, wie es bei euch so war mit dem Baden am Samstag, aber bei uns, als ich noch klein war (so wie
das Richardle), mussten wir jeden Samstag Abend in die Badewanne, ob es nötig war oder nicht. In meinen
Augen war es meistens völlig unnötig, doch Mama war anderer Meinung und die setzte sie auch durch. Bei der
Mama vom Richardle hat sich dies bis heute nicht verändert: am Samstag wird der Bub gebadet, da gibt es keine
Widerrede.
Beim Schorsch ist das mit dem Baden nicht so einfach, weil er ja keine normale Dusche hat, sondern nur einen
Schlauch mit Brause in der Badewanne und einen vergammelten Plastikduschvorhang um die Wanne herum. Warmes
Wasser gibt es nicht auf Knopfdruck. Er hat auch keine Solaranlage auf dem Dach, sondern nur den alten Bade-
ofen mit Holzfeuerung.
Am Samstagnachmittag feuert Schorsch also den Ofen an, damit am Abend genug warmes Wasser zum Duschen kommt.
Nach dem Bad gibt es dann eine Brotzeit mit gekochten Kartoffeln, Quark, Butter und den Sulz-Fischen, wie
man es in den 70er so gerne hatte. Schorsch gönnt sich dazu ein Bier und das Richardle bekommt entweder Milch
oder Zitronensprudel.
Danach sitzen sie noch gemütlich beisammen, Schorsch erzählt eine Geschichte oder liest aus einem Buch vor,
bis um Acht die Tagesschau im Fernsehen kommt. Das ist Pflicht. Dann kommt es darauf an, was sonst noch im
Programm geboten wird. Wenn es eine nette Sendung, die auch für den Buben geeignet ist, kommt, dann schauen
sie gemeinsam und wenn nicht, dann spielen sie Malefiz.
Wenn Schorsch verliert, schickt er Richardle gleich darauf ins Bett, im anderen Fall spielen sie noch eine
zweite Runde. Wenn der Schorsch dann wieder gewinnt, hat das Richardle keine Lust mehr. So verlaufen die nor-
malen Samstag-Abende, wenn das Richardle beim Schorsch zu Besuch ist.
Das klingt jetzt ja alles recht nett und gemütlich. Das wäre auch so, wenn nicht das Duschen wäre. Wie bereits
gesagt, ist Richard kein Freund von Wasser. Im Sommer plantschen und herumspritzen, besonders mit den Wasser-
pistolen, ja das gefällt ihm sehr. Aber sonst will er mit dem nassen Element nicht in Kontakt kommen.
Diesmal war es mal wieder besonders dramatisch. Dabei hatte alles doch so gut und friedlich begonnen.
Schorsch und Richardle stehen in der Wanne unter der Brause. Jeder in seiner Badehose, zwei große Handtücher
liegen auf dem Stuhl daneben.
Schorsch dreht das Wasser auf. Die blaue und die rote Seite gleichzeitig, damit es eine gute Mischung gibt.
Sofort springt Richardle aus der Wanne und schreit wie am Spieß. "Viel z hoiß, aua, i verbrenn!" Schorsch er-
schrickt und dreht schnell das Wasser ab. Im selber ist es eher lauwarm vorgekommen, gerade angenehm. Er
dreht den blauen Hahn weiter auf und den roten ein bißchen zurück. Langsam und ängstlich schleicht sich das
Richardle wieder in die Wanne zurück. Er streckt nur seine Hand unter die Brause und springt sofort wieder
weg.
"Des isch ja eiskalt, do wear i ja krank!", schimpft er. Schorsch bleibt geduldig, weil er das Theater ja be-
reits kennt. Er dreht jetzt den roten Hahn weiter auf und lässt den Buben nocheinmal testen. So geht es ein
paar Mal hin und her mit Geschrei und Schimpfen. Gerade kurz bevor Schorsch wütend wird, ist das Richardle
endlich mit der Wassertemeratur zufrieden.
Aber abduschen lässt er sich noch nicht. "Wo isch mei Dinosauriar-Duschgel ?" fragt er laut. Schorsch hat nur
sein Gut-und-günstig-Duschgel im Haus, das reicht ihm völlig. "Ja, hosch des it mitbrocht vo Drhoi ?" - "Noi,
des ha i vergeasse. Iatz ka i mi natürle leider gar it dusche, do kemmer nix mache."
Damit ist Schorsch nicht einverstanden, er weiß ja, wie wichtig das Samstagsbad der Mutter ist und ihm selber
übrigends auch.
"Am Samstag wiad badet ond baschta." Er holt sein Duschgel und beginnt, Richardle einzuseifen, der sich aber
kräftig dagegen wehrt. "Gschtät!", schreit der Bub plötzlich, "I muss aufs Klo!" Richardle entwindet sich flink
den eingeseiften Händen vom Schorsch, hüpft aus der Wanne, hinaus auf den Gang, Richtung Toilette. Wie es
nicht anders kommen kann, macht es bald darauf einen Platsch und man hört das Richardle in voller Lautstärke
weinen und schreien. Schnell kommt Schorsch aus der Wanne und sieht den Buben vor dem Klo auf dem Boden liegen.
Mit seinen eingeseiften Füßen ist er ausgerutscht. Schorsch stolpert über den Teppich und schon fällt er direkt
auf den Buben. Die Ellenbogen schmerzen ihn vom Abstützen und den Kopf hat er sich auch noch angeschlagen.
In diesem Moment geht die Haustüre auf und der Postbote schaut herein, sieht die beiden in Badehosen vor dem
Klo auf dem Boden liegen und erschrickt sehr. Schnell stottert er einen Gruß, wirft die Zeitung auf die Kom-
mode und schon ist er wieder verschwunden. Ganz klar, dass er unten im Dorf im Wirtshaus diese Szene groß
ausgeschmückt genussvoll verbreiten wird. Dort im Dorf braucht sich Schorsch in den nächsten Wochen jedenfalls
nicht mehr blicken lassen. Diese Erkenntnis verschlechtert seine Laune erheblich. Unter stöhnen steht er vor-
sichtig auf und zieht das Richardle mit hoch. "Ja du Lausbue, was machsch du denn für an Mischt ? Iatz lue
blos, dass du aufs Klo kusch ond dann wiad fetig duscht, sucht wear i dann gau no reacht massig!" Schorsch
hält vor der Toilette Wache und zerrt das Richardle dann an den Armen hinüber ins Badezimmer.
Langsam wird es Schorsch zu kalt, aber er reißt sich noch einmal zusammen und lässt die Dusche laufen, dreht am
Wasserhahn herum, bis es angenehm warm kommt. "Sodela", denkt er sich, "iatz wer mer des scho no nakriege."
Das kleine Richardle steht zitternd neben der Brause und wehrt sich weiterhin mit Händen und Füßen, um ja
nicht näher an den Wasserstrahl zu kommen. Ängstlich starrt er zur Brause hinauf, wie zu einem gefährlichen
Tier.
Schorsch sagt kein Wort und blickt ihn nur streng an. Ganz langsam und zögernd lässt sich der Bub unter die
Brause schieben und Schorsch steht ganz eng neben ihm. "So, iatz hammers," denkt er sich und genau in diesem
Moment wird das Wasser kalt und dann eiskalt.
Der Boiler ist leer, das ganze warme Wasser haben sie mit dem Theater verbraucht. Der Bub hüpft natürlich auf
der Stelle schreiend aus der Wanne.
Schorsch bleibt stur und duscht sich fertig ab. Das ganze Badezimmer ist verspritzt. Er wischt noch alles auf,
hängt den Läufer zum Trocknen über die Wanne und dann hat er genug für heute.
An diesem Abend hat keiner mehr ein Wort gesprochen, beide sind beleidigt schlafen gegangen. Am Sonntag haben
sie aber alles wieder vergessen und noch einen schönen Tag miteinander verbracht.