Abenteuer am Fluss
Dies ist eine Geschichte, die die Tierkinder in den Sommerferien erlebten.
Es war ein heisser Sommertag im Juli. Das Häslein, das Wildschweinbaby und die zwei Igel
Billi und Willi spielten im Wald. Eigentlich hätten sie gerne einen Ausflug gemacht, doch
die Eltern mussten wieder einmal arbeiten und hatten leider keine Zeit. Die Rosalinde hatte
es gut, sie durfte für ein paar Wochen auf das Gestüt ihres Vetters Heinrich von Hopp in
Ferien gehen. Deshalb waren sie nur zu Viert zum Versteckenspielen im Wald. Na ja, es war
nicht so schlimm, denn die Rosalinde war sowieso am schnellsten zu finden, weil sie so
groß war und wenn die Blätter sie an der Nase kitzelten, musste sie immer furchtbar laut
wiehern. Dann war es natürlich ein Leichtes, sie aufzuspüren.
Gut, unsere Rosalinde war also nicht da. Jetzt wollen wir mal sehen, was die Tierkinder im
Wald für Abenteuer erleben.
Zuerst sah es ganz und gar nicht nach Abenteuern aus. "Mir ist so langweilig. Jetzt haben wir
die ganzen Tage lang nur Verstecken gespielt. Ich will mal was anderes machen", meinte das
Wildschweinbaby.
Und das Häsle sagte: "Ich habe auch keine Lust mehr. Aber leider fällt mir sonst nichts ein."
Gut, dass Billi und Willi dabei waren. Die beiden hatten immer neue Ideen. "Kommt, wir gehen
zum Bach, dort gibt es sicher was zum spielen!" rief Billi und Willi meinte: "Ja, und es ist
so schön kühl dort. Kommt, los gehts!"
Die Igel rannten voraus und die anderen schnell hinterher. Natürlich ist das Häslein am als
erste am Bach angekommen. Dort badeten und plantschten sie eine Weile.
Dann entdeckte Billi ein paar Bretter. Er rief die anderen herbei und gemeinsam beschlossen
sie, ein Floß zu bauen, um damit den Bach hinunterzufahren.
Bereits nach kurzer Zeit hatten sie ihr Floß zusammengebaut, dann gingen alle an Bord und als
sie ablegten rief das Häsle aufgeregt: "Ahoi, jetzt gehts ins Abenteuerland!"
Erst als sie eine Weile unterwegs waren, bemerkten sie, dass sie ja Ruder und Steuer vergessen
hatten. Oh weh, wie sollten sie denn anhalten können ?
Mit vereinten Kräften versuchten sie, das Floß an ein Ufer zu bringen, aber die Strömung des
Baches wurde immer stärker und so war es für die Tierkinder zu schwer, das Floß an das
Ufer zu bringen. Bald gaben sie auf und warteten ungeduldig, bis der Bach doch endlich eine
Biegung machen würde oder ein Gumpen käme. "Hoffentlich gibt es hier keine Wasserfälle!"
meinte das Wildschweinbaby ängstlich.
Kaum hatte es dies gesagt, hörten sie schon ein Rauschen in der Ferne, das ganz genau wie
das Rauschen eines Wasserfalles klang. Ängstlich hielten sich die Tierkinder an den Händen
fest. Eigenartigerweise wurde das Rauschen nicht lauter. Bald erkannten die Tierkinder, dass
sie das Rauschen des Windes für einen Wasserfall hielten. Der Bach mündete nämlich in einem
großen See und auf dem See blies ein frischer Wind über das Wasser.
Da waren sie alle froh, und das Wildschweinbaby sagte grossspurig: "Ich habe doch gleich
gewusst, dass Gott uns beschützt und wir nicht in einen Wasserfall geraten." Die anderen Kinder
antworteten nichts darauf, sondern jeder sagte Gott leise danke.
Nun trieben die Kinder auf ihrem Floß mitten im See, denn die Strömung des Baches hatte das
Floß ein Stück in den See hinausgeschoben. Das war natürlich auch nicht besonders günstig, denn
- wie ihr wisst - hatten sie ja nichts zum Rudern oder Steuern an Bord.
Das Häslein meinte, mit ihren Hemden könnte man doch kleine Segel machen und so versuchen, ans
Ufer zu gelangen.
Während sie noch herumdiskutierten, sahen sie ein Boot auf sich zukommen.
"Die helfen uns sicher", meinte Billi und Willi rief: "Ja, kommt, wir rufen alle ganz laut, damit
sie es auf dem Boot auch sicher hören."
Doch das war gar nicht notwendig, die Leute im Boot hatten sie bereits entdeckt und steuerten
geradewegs auf das Floß zu.
Als das Boot näher kam, und die Tiere die Insassen des anderen Bootes erkennen konnten, erschraken
sie sehr. Das Boot war voller Männer mit bunten Kopftüchern, Augenklappen, Holzbeinen und sehr
finsteren Gesichtern; mit anderen Worten, ganz klar: das waren Piraten!
"Das hat uns gerade noch gefehlt", quiekte das Wildschweinbaby. Die anderen starrten nur ängstlich
auf die Piratenbande. Und es kam so, wie die Tiere es befürchteten: sie wurden kurzerhand gefangen
genommen und samt ihrem Floß über den See geschleppt.
Hier am Ufer befand sich eine alte Wirtschaft, die den Seeräubern als Schlupfwinkel diente. Dort
machten sie ihr Boot und das Floß fest. Die Tierkinder wurden an Land geschubst und sogleich in
einen alten Stall hinter der Gastwirtschaft eingesperrt. "Um euch kümmern wir uns später!" lachte
ein Pirat, schloss die Stalltüre zu und verschwand.
Als es Abend wurde, waren die Kinder noch immer eingesperrt. In dieser Nacht schliefen sie sehr
unruhig und jeder überlegte, wie man am besten ausbrechen könnte.
Bei Sonnenaufgang waren alle wach und schauten durch die Ritzen der Stallwände nach draussen.
Kein Laut war zu hören. Die Tierkinder warteten schweigend. Es wurde langsam heller und nach ein
paar Stunden (so schätzten es die Kinder zumindest) war es noch immer völlig still. "Die Piraten
schlafen aber lange." meinte Billi und Willi ergänzte: "Die müssen ja auch nicht zur Arbeit."
Das Häslein schnupperte aufmerksam herum. "Ich kann sie nicht riechen, ich glaube, die sind gar
nicht in der Nähe." "Vielleicht sind sie unterwegs zu neuen Überfällen", meinte das Wildschweinbaby
hoffnungsvoll, "dann könnten wir ja versuchen, hier herauszukommen."
"Das ist kein Problem", lachten die Igel, "wir sind schon draussen!" Und tatsächlich: während sie
noch redeten, hatte Willi ein Loch entdeckt und schlüpfte mit Billi hindurch und schon standen die
beiden Igel vor der Stalltüre.
"Gleich seid ihr frei!" rief Billi und Willi zog indessen den Riegel weg. Die Türe sprang auf und das
Häschen und das Wildschweinbaby rannten schnell ins Freie. Die Kinder schlichen vorsichtig um die
ganze Wirtschaft herum. Nachdem sie alles abgesucht hatten, trafen sie sich in der Gaststube. Sie schien
der Aufenthaltsraum der Piraten zu sein. Es lagen überall waffen, Essensreste, Kleider, Hüte und anderer
Krimskrams herum. Besonders ordentlich waren die Piraten anscheinend nicht. Na ja, was kann man auch
von solchen Gaunern erwarten!
Die Tierkinder berieten, was sie tun könnten. "Natürlich hauen wir sofort ab, nach Hause!" rief das
Wildschweinbaby ängstlich und das Häsle stimmte zu. "Wir dürfen keine Zeit verlieren, die Räuber können
jeden Moment wieder zurückkommen."
Billi und Willi lachten und meinten: "Nur keine Eile, wenn es sein muss, sind wir ja gleich verschwunden.
Ein Boot liegt am Ufer, somit ist es kein Problem. Nein, wir sollten die Piraten noch ein bisschen ärgern,
wenn sie schon so frech waren, uns zu fangen. Was meint ihr ?"
Das Wildschweinbaby war einverstanden, aber das Häsle zögerte noch. "Ich will am liebsten so schnell wie
möglich nach Hause zu meiner Mami und meiner Gelberübensuppe."
Leider hatten die Tiere keine Zeit mehr, um sich zu einigen, denn die Räuber kamen überraschend zurück. Billi
sah sie als erster. "Schnell weg, sie kommen!" rief er aufgeregt. Doch wo sollten sie hin ? Bis zum Boot
schafften sie es auf keinen Fall, weil von dieser Richtung die Piraten herankamen und in den Wald flüchten
war zu gefährlich, sie kannten sich dort ja nicht aus. "Ich hab eine Idee," rief Willi und deutete auf
das grosse Weinfass in der Ecke. "Wir schütten den Wein in den Keller und verstecken uns dann im Fass!
Beeilt euch!" Gesagt, getan. Geschwind hatten die Kinder das Weinfass ausgeleert, indem sie den guten
Rotwein einfach die Kellertreppe hinabschütteten. Dort versickerte er im Boden. Danach kletterten sie hinein
und verschlossen den Deckel hinter sich. "Jetzt müssen wir ganz leise sein, damit sie uns ja nicht entdecken!"
flüsterte Billi den anderen zu. Und so warteten die Kinder, was wohl geschehen würde.
Eine ganze Weile geschah gar nichts. Dann hörten sie, wie die Räuber in die Gaststube polterten. "Jetzt wären
wir fast von der Polizei erwischt worden," schimpfte einer, "nur weil du zu viel Rotwein getrunken hast. Den
verkaufen wir jetzt an einen Bauern, dann ist er weg." Scheinbar war dies ihr Anführer, denn die anderen
antworteten alle mit "Ja, Käptn!"
Die Räuber schleppten unter Stöhnen und Ächzen das große Fass aus der Gaststube und rollten es hinab zum Ufer.
Mit einem lauten "Hau ruck" hievten sie das Fass an Bord des großen Bootes. Dann machten sie erst mal eine
Pause, denn so viel Arbeiten waren die faulen Piraten nicht gewöhnt. Doch die Pause dauerte nicht lange, denn
der Kapitän kam und scheuchte die dösenden Piraten hoch. "Los jetzt, wir müssen aufbrechen, sonst kommen wir
nicht mehr rechtzeitig zum Sandmännchen nach Hause!" Der Kapitän schaute nämlich für sein Leben gern das Sand-
männchen im Fernsehen an. Deswegen mussten die Piraten immer bis 19:00 Uhr mit den Überfällen fertig sein oder
sie zogen erst ab 19:15 los, wenn das Sandmännchen vorüber war. Und sollte der Kapitän sein Sandmännchen mal
verpassen, dann hatte er den ganzen Abend sehr schlechte Laune. Das fürchteten die Piraten und deshalb beeilten
sie sich, in das Schiff zu klettern und abzulegen.
Sie überquerten den See und legten am anderen Ufer bei einer Wiese an. Hier wurde das Fass (mit den Tierkindern
drin!) mit großem Aufwand wieder an Land gehoben und dann rollten sie es über einen Feldweg zum Bauernhof. Der
Bauer war nicht zu Hause und so setzten sich die Piraten vor dem Haus in die Wiese und tranken das Bier, das sie
mitgenommen hatten. Dadurch wurden sie so müde, dass die ganze Bande einschlief.
Auf so eine Möglichkeit hatten die Tierkinder gewartet. Sobald es eine Weile ruhig war, öffneten sie den Deckel
und kletterten vorsichtig heraus. Sie waren sehr froh, endlich wieder in Freiheit zu sein. Im Fass wurden sie
doch sehr durchgeschüttelt.
"Los, kommt, wir rollen das Fass in den See," flüsterte Billi, "und dann hauen wir ab."
Mit vereinten Kräften gaben sie dem Fass einen Stoß, dass es über die Wiese den Hügel hinab in Richtung See rollte.
Als es mit einem lauten Klatschen ins Wasser fiel, wachten die Piraten erschrocken auf, aber die Kinder waren
schon weit weg. Sie liefen am Seeufer entlang, bis sie den Bach fanden, auf dem sie hergekommen waren. Nachdem sie
ja kein Boot mehr hatten, hielten sie sich einfach an den Bachlauf, bis sie wieder in eine Gegend kamen, die ihnen
bekannt war.
"Bald haben wir es geschafft!" rief Billi erfreut und die Angst der Kinder war so gut wie verflogen. Sie lachten
und scherzten wieder zusammen und jeder freute sich riesig, nach dem langen Abenteuer nach Hause zu kommen.
Die Eltern warteten bereits ungeduldig und wollten die Kinder ausschimpfen, doch als sie erzählten, wie es ihnen
ergangen war, da lobten die Eltern ihre Kinder sogar und meinten, dass sie sich klug verhalten hatten und sie
sehr froh waren, dass sie den Piraten entkommen konnten.
So endete der Tag und auch die Geschichte endet hier. Alle waren erleichtert und in allen Familien war es ein
fröhlicher Abend.
Später hörte man noch, dass die Piraten nach dem Reinfall mit dem Fass den See verlassen hätten und sich woanders
niedergelassen hätten. Seither hat man nichts mehr von ihnen gehört. Und das ist gut so.