Allgäuer Philosophe-Däg: A halbe Weihnachtsgschicht vom Schorsch
Kennet ihr die Allgäuer Philosophe-Däg ? Noi ? Ja dann loset mol zue:
Vorweihnachtszeit, a wunderschöne Zeit, grad bei eis Drhoi im Allgäu. De Schorsch lueget in deane Däg allat, dass ar jo it z viel zum do hot, drmit ar die Stille ond die dunkle Däg richtig
geniesse ka.
An Adventskranz mit am frische Daas stoht beim Schorsch auf m Tisch, des isch m wichtig. Ond am Obend zündt ar d Keza a ond nimmt sich a paar Minuta Zeit, blos um still zum sei. Oigentlich
braucht ma it meh für de Advent. "Weniger isch do meh", wie de Schorsch gean sait.
Drzue na geits beim Schorsch im Dezember no bsondre Zeita: Ar goht zwischbedur am späte Namittag, wenn d Sonne gau zum gruebe verschwindt, hinda d Halde nauf zu deam Bänkle, des do um die
Johreszeit im milde Sonneliacht eidunkt stoht.
A Thermoskanne mit Tee nimmt ar sich mit ond an manke Däg kut au de Kare, sei altar Freind, vorbei. Dann hocket se kherig eipackt mit Händsche ond Kappa do Doba, lueget, wie langsam im
Fleacke dond d Liachter agand ond geniesset die oigene Stille, die sich übers Land ausbroitet.
Oft schwätzet se gar nix, weil die Stimmung se so ausfüllt, dass jedas Wort z viel wär. Iamole geit s aber au an Hoigate zämet, der zum Ort ond zur Zeit dodana passt.
"Mei, Kare, hosch du m raufweats die wunderschöne Gähwinda am Bächle do gseah ? Wie dr Wind doch settene Kunschtwerke fetigbringt! I muss allat meh drieber staune. So elegante, vollkomme
gschwungene Forma, so lebendig. Koi gotzigs Fleackle isch do langweilig oder gleich wie s andere.
Sappralott, so viel Schönhoit blos an deam kleine Bächle dana! So was ka i allat gar it begreife, do ka i it gnue kriege, vo sette Sächela."
De Kare überlegt ond sait dann: "Auweh, des isch mer iatz gar it aufgfalle, i ha do gar it naglueget. Aber m Naweats, do lueg i dann gwiss des Bächle a. Sette Kloinigkoita übersieht ma so
gschwind Schorsch, gell."
-"Do hosch reacht, ond des goht it blos dir aso, mir gohts oft au grad so, dass i die verborgene, kleien Schönhoita gar it merk, vor lauter Springerei. Ond so gohts de moischte Leit auf dr
ganze Wealt. Leit, die no a Augemerk auf setta Koschtbarkoita leget, die sind ibrall rar."
Kare stimmt m Schorsch zue: "Ja, bled an ond für sich..."
Schorsch entgegnet: "Ja, bled, des simmer oft. Do ha i letschtle ebbas glease, los mole her..", ond mit deam Afang verzellt de Schorsch am interssiert zulosende Kare die Gschicht:
"S isch de 12. Januar, kuz vor Achte. Im U-Bahnhof, in ar große Stadt packt a jungar Kerle sei Geige aus, stellt de offne Geigekoffer aufs Pflaschter, wiaft no a Münz als Weachselgeld nei
ond dann fangt ar a zum Spiele. Ar spielt zescht amole die "Chahonne" vom Bach, also i has it kennt, aber ma sait, es wär a bsonders wichtigs Geigestuck ond au erbar schwer zum spiele.
Dann spielt ar no a paar Stückla, i woiss it, was, halt so a Dreiviertelstund rum."
De Schorsch macht a Pause ond de Kare lueget gar numma bsonders intressiert drei.
"Aber los no, so gohts weiter: in der Zeit, wo der gschpielt hot, sind grad 1097 Leit vorbeigloffe. Um Achte rum gohts natürle saumässig zue in dr Stadt, de Leit pressierts alle auf d Arbat.
Drum sait ma ja au "Raschauer" drzue, well alls rasch zuegau muess, gell. Vo deane 1097 Leit sind grad amole siebe Stuck für a Minute rum stau bliebe. Siebnezwanzge hand a bitzle a Geald in
de Kaschte neigwoffe, es sind an die 17 Euro zämetkomme.
Wenn de also reachnesch, sind 1070 Leit vorbeigrennt, die moischte hand it amole zu deam Geigar naglueget. Bätschet hot glei überhaupt koinar."
De Kare gähnt.
"Aber iatz pass auf, Kare, stell dr vor, de Geigespielar, des ar oinar vo de berühmteschte Geigar der Welt, ond der hot do vor deane Leit in der Stadt a paar vo de berühmteschte Geigestückla
der Welt gschpielt ond des auf ar Stradivari-Geige vo 1713, die über zwoi Milliona koschtet hot!
Der Geigar hot Joshua Bell ghoisse, also, i kenn dean ja it, aber ar wär asat berühmt, hoissts, ond der war vor zwoi Däg detmols no im Konzertsaal vo ar Großstadt auftreate, do hot a Sitzplatz
über 60 Euro koscht. Do luegesch, gell. Der hot do halt a Experiment gmacht, woisch.
Interessant isch no, dass jedsmole, wenn a Kind vorbeikomme isch, hot des gean staubleibe welle ond zuelose. S isch aber allat vo am Erwachsene me futzoge wore.
Des isch doch verruckt: die Kind waret die gotzige, die Interesse ghet hand, vo de doch allat so gscheide Große hot koinar kapiert, was do grad los isch."
De Kare hot sich ond m Schorsch drweil an Tee eigschenkt ond moint beim Drinke: "Hm, des isch ja a nette Gschicht ond i muess sage, mir wärs wahrscheinle au aso gange, wie deane alle Leit."
Schorsch sieht des au so. "Jo, mir gau au. I moi, vo dr Geigerei ha i sowieso koi Ahnung, wenn, dann halt vo de Blosmusik, gell. Aber wer woiss, ob i d Egerländar kenne dät, wenn se vor meinar
Näs do spiele dätet."
"Do brauchsch koi Angscht hau, Schorsch, well die geits ja scho lang numma", moint de Kare, "aber des passt alls grad zu deane schene Gähwinda am Bächle, wo i gar it gseah ha."
De Schorsch antwortet stolz: "Aber i ha se gseah, gell!" - "Mei, well du halt an altar Kindskopf bisch!"
Hochdeutsche Version:
Allgäuer Philosophen-Tage: eine halbe Weihnachtsgeschichte vom Schorsch
Vorweihnachtszeit, eine wunderschöne Zeit, gerade bei uns Daheim im Allgäu. Der Schorsch schaut an diesen Tagen immer, dass er nicht allzuviel zu tun hat, damit er die Stille der dunklen Tage
richtig geniessen kann. Ein Adventskranz mit frischem Reisig steht beim Schorsch auf dem Tisch, dies ist ihm wichtig. Und am Abend zündet er eine Kerze an und nimmt sich ein paar Minuten Zeit,
nur um still zu sein. Eigentlich braucht man nichts sonst für die Adventszeit. "Weniger ist da mehr", wie Schorsch gerne sagt.
Weiters gibt es beim Schorsch im Dezember noch besondere Zeiten: er spaziert zwischendurch am späten Nachmittag, wenn die Sonne sich bereits am Horizont zur Ruhe setzt, hinten den Hang hinauf
zum Bänkchen, das dort um diese Jahreszeit einsam und still in mildem Sonnenlicht eingetaucht, steht.
Eine Thermoskanne Tee nimmt er sich mit und an manchen Tagen schaut auch Kare, sein alter Freund, vorbei. Dann sitzen sie dick eingepackt mit Handschuhen und Mütze dort oben, beobachten, wie
langsam im Dorf unten die Lichter angehen und geniessen diese besonderen Momente der Stille, die sich jetzt über das Land ausbreitet.
Oft schweigen sie miteinander, weil diese Stimmung sie so ausfüllt, dass jedes Wort zu viel wäre. Manchmal ergibt sich aber auch - eine Ort und Zeit angemessene - Unterhaltung.
"Du, Kare, hast du beim Hochwandern diese wunderbaren Schneeverwehungen, die sich am Bach entlangziehen gesehen ? Wie der Wind doch solche Kunstwerke schaffen kann! Ich muss immer wieder staunen.
So elegante, vollkommen geschwungene Formen, so lebendig. Kein einziger Zentimeter ist wie der andere.
Unglaublich, so viel Schönheit, nur an dieses gewöhnliche Bächlein verschwendet. Dies alles kann ich gar nicht fassen, und davon kann ich nie genug bekommen."
Kare überlegt kurz und meint dann: "Oh, mir ist nichts aufgefallen, ich habe gar nicht auf das Bächlein geschaut. Aber wenn ich zurück gehe, dann beachte ich den Bach gewiss. Solche Kleinigkeiten
übersieht man so schnell, Schorsch."
"Da hast du recht und es geht nicht nur dir so, auch ich sehe vor lauter Eile und Ablenkung die verborgenen Schönheiten oft nicht mehr. Den meisten Menschen auf der ganzen Welt geht es so, Leute,
die kein Augenmerk auf solche Kostbarkeiten werfen, sind in der großen Mehrzahl. Die, die einen Blick dafür haben, gibt es selten."
Kare pflichtet Schorsch bei: "Ja, dumm eigentlich...."
Schorsch nickt. "Dumm sind wir oft. Da habe ich vor kurzem etwas gelesen, hör mal zu..." und mit diesem Anfang erzählt Schorsch dem gespannt zuhörenden Kare eine Geschichte:
"Es ist der 12. Januar, kurz vor Acht Uhr. Im U-Bahnhof einer Großstadt packt ein junger Mann seine Geige aus, stellt den offenen Geigenkoffer aufs Pflaster, wirft noch ein paar Münzen als
Wechselgeld hinein und fängt dann zu spielen an. Zuerst spielt er die "Chachonne" von Bach, also ich kenne das nicht, aber man sagt, es wäre ein besonders wichtiges Geigenstück und auch
besonders schwer zu spielen. Dann spielt er noch ein paar Stücke, ich weiss nicht, welche, so ungefähr eine Dreiviertelstunde lang."
Schorsch macht eine Pause und Kare blickt nicht gerade gespannt.
"Aber, hör zu, so geht es weiter: in der Zeit, während er spielte, sind genau 1097 Leute vorbeigegangen. Um Acht Uhr ist natürlich riesen Betrieb in der Stadt, alle eilen zur Arbeit. Deshalb
sagt man ja auch "Rasch-Auer" dazu, weil alles rasch gehen muss. Von den 1097 Leuten sind gerade mal sieben für ungefähr eine Minute stehen geblieben. Siebenundzwanzig haben ein wenig Geld
in den Kasten geworfen. Es sind ungefähr 17 Euro zusammengekommen. Wenn man also rechnet, sind 1070 Menschen vorbeigerannt, die meisten haben den Geiger nicht mal wahrgenommen. Geklatscht hat
überhaupt keiner." - Kare gähnt.
"Aber pass jetzt auf, Kare, stell dir vor, der Geiger da, der war einer der berühmtesten Geiger der Welt, und er hat da vor den Leuten einige der berühmtesten Geigenstücke der Welt gespielt und
dies auch noch auf einer echten Stradivari von 1713, die über zwei Millionen wert ist!
Der Geiger hiess Joshua Bell, also ich kenne den nicht, aber er sei sehr berühmt, heisst es, und er hatte vor zwei Tagen noch in der Konzerthalle der Großstadt einen Auftritt, wo der Sitzplatz
über 60 Euro gekostet hat. Da staunst du, na ? Er hat hier ein Experiment gemacht, weisst du.
Interessant ist noch, dass, jedesmal, wenn ein Kind vorbeigekommen ist, das Kind stehenbleiben wollte und zuhören wollte, es jedoch immer von einem Erwachsenen weggezogen wurde.
Es ist doch verrückt: die Kinder waren die Einzigen, die sich für die großartige Musik interessierten, von den so klugen Erwachsenen hat es keiner begriffen, wer da gerade musizierte."
Kare hat inzwischen Schorsch und sich selber Tee eingeschenkt und meint, während er trinkt: "Hm, das ist ja eine nette Geschichte. Ich muss sagen, mir wäre es wahrscheinlich genauso ergangen,
wie den meisten Leuten in der Stadt."
Schorsch stimmt zu: "Ja, mir sicher auch. Ich meine, von Geigenmusik habe ich sowieso keine Ahnung, wenn dann eher von Blasmusik. Aber wer weiss, ob ich die Egerländer erkennen würde, wenn sie
vor meiner Nase spielen würden."
"Da musst du keine Angst haben, Schorsch, denn die gibt es schon lange nicht mehr, " meint Kare, "aber das passt alles gerade sehr gut zu den schönen, kleinen Schneeverwehungen am Bach, die ich
gar nicht bemerkt habe. "
Der Schorsch sagt stolz: "Aber ich habe sie gesehen!" - "Ja klar, weil du einfach ein kindliches Gemüt hast!"