Des Müllers Kuh
Der Müller, der im Wald lebte, hatte einen Esel, einen Hund, einen Fischteich und zwei Kühe.
Die Kühe hiessen Elli und Nelli.
Sie waren auf der Weide neben der Mühle. Jeden Abend holte der Müller sie in den Stall
zum Melken. Die Milch reichte für den Müller und seine Frau zum Trinken und aus dem Rest
konnten sie Butter und Käse machen.
An einem schönen Sommernachmittag, als Elli und Nelli wieder auf der Weide im Schatten eines
Baumes lagen und faulenzten, sah Elli, dass im Zaun ein Loch war. Sie stupste Nelli an.
"Schau mal, da ist ein Loch im Zaun. Komm, wir können ausreissen."
"Ach, ich hab keine Lust. Es geht uns doch gut hier, es ist gerade so gemütlich auf der Weide."
sagte Nelli und drehte schläfrig den Kopf auf die andere Seite, um die Lücke zu betrachten.
Elli entgegnete: "Ich will mal was von der Welt sehen, und nicht den ganzen Tag auf der Weide
herumliegen. Ausserdem hab ich keine Lust mehr, jeden Tag gemolken zu werden. Ich gehe."
"Na dann, viel Glück!" sagte Nelli und schlief weiter. Elli stand auf und trottete durch das
Loch auf die Strasse.
Glücklich und ganz gespannt folgte sie dem Weg. Er führte aus dem Wald heraus, durch eine
Gegend mit vielen saftigen Wiesen. "Das ist doch viel besser, hier kann ich tun, was ich will,
essen so viel ich will und keiner treibt mich am Abend in den Stall." So dachte sie sich
gut gelaunt.
Da begegnete ihr ein Wanderer. "Hallo Kuh, ich bin so durstig, bitte gib mir doch von deiner
Milch zu trinken", bat er freundlich. "Nein, nein, das ist meine Milch, such dir doch selber
eine, von mir bekommst du nichts", antwortete Elli hochmütig und lief weiter. Der Wanderer sah
ihr nach und wunderte sich über ihre Unfreundlichkeit.
Eine Weile später kam sie an einer alten Frau vorbei, die sich am Wegrand ausruhte. "Oh, du liebe
Kuh, bitte lass mich ein paar Tropfen von deiner Milch trinken. Ich bin so schwach und brauche
eine Stärkung." Die Frau erhob sich mühsam und humpelte auf die Kuh zu. Doch Elli lief schnell
weg und rief ihr nach: "Nein, nein, da könnte ja jeder kommen. Meine Milch ist viel zu kostbar
für dich!"
Als es dann Mittag wurde, kam ihr ein kleiner Bub entgegen. "Bist du eine schöne Kuh", sagte er.
Eli blickte ihn stolz und ein wenig neugierig an. "Ich habe noch einen weiten Weg nach Hause,
bitte lass mich doch mal von deinem Euter trinken, das wäre ganz lieb von dir", sagte der Bub.
"Ha, das würde dir so passen, Lümmel", murrte Elli, "frag doch deine Mama und lass mich in Ruhe."
Mit diesen Worten liess sie den Buben stehen und ging gemütlich auf ein kleines Wäldchen zu, um
sich im Schatten dort ein wenig auszuruhen.
Als sie nach ein paar Stunden aufwachte, zwickte und drückte es in ihrem Euter. Es war inzwischen
so voll mit Milch, dass sie eigentlich dringend gemolken werden müsste. Und da fiel ihr ein, dass
sie selber es ja gar nicht könne. Jetzt wäre sie froh, wenn ihr jemand ein bisschen Milch abnehmen
würde.
Sie entschloss sich, den Weg zurück zu laufen und den Leuten, die sie vorher baten, etwas Milch zu
geben, jetzt etwas anzubieten. Doch der Bub war schon längst zu Hause bei seiner Mutter, die alte
Frau war nicht mehr zu finden und der Wanderer sagte, er hätte keinen Durst mehr und liess sie
einfach stehen.
Da blieb ihr nichts anderes übrig, als so schnell wie möglich zurück zum Müller zu laufen. Und dies
tat sie dann auch. Als sie an der Mühle ankam, war es bereits dunkel, der Stall war verschlossen
und die Müllers sassen in der Küche bei der Brotzeit.
Sie fing an, vor der Stalltüre laut zu muhen, bis der Müller erstaunt herauskam. Er freute sich,
seine Kuh wieder zu haben und nahm sie schnell in den Stall hinein und molk sie. Danach bekam sie
frisches Heu und konnte sich bei Nelli ausruhen. "Wie war dein Ausflug ?" fragte Nelli interessiert.
"Nichts besonderes. Ich bin froh, dass ich wieder hier bin. Und wenn nochmal ein Loch im Zaun ist,
dann gehe ich gewiss nicht mehr durch", sagte Elli erschöpft und dann schlief sie ein.