Dr Sinn im Leabe
Kennet ihr die Allgäuer Philosophe-Däg ? Noi ? Ja dann loset mo zue:
De Schorsch ond de Kare, zwoi alte Freind aus Zeita, wo s im Allgäu no wesentlich wilder zuegange isch, hocket beim Schorsch in der Kuche.
S isch a Samstag Namittag, Dussa saichts was ragoht ond a kiehlar Wind bloset derart, daß d Reagetropfe wie verruckt auf d Fensterscheiba
trommlet.
D Vevi, d Frau vom Schorsch, stoht am Herd ond richtet Floischkiechla her.
Genau sötte Däg sind die Allgäuar Philosophe-Däg, weil ma do ausser rumhocke ond wate, bis d Sportschau agoht, nox zum do hot. Und wenn
zwie Allgäuar a Weile so rumhocket, kut oft a philosophischar Hoigate zämet. Oi saget au "Breazgemaat" derzue.
Zescht wiad mol a Halbe "Gold" aufgmachet, vorher goht gar nix. So lueget se a Weile dr Vev zue, wie se d Kiechla richtet.
Dann wiad a zwoite Halbe aufgmacht, au die wiad in Ruhe leergsoffe ond dann kut die Dritt dra.
Dr Kare lueget m Fenschter naus, dann hebt ar sich die Halbe vors Gsicht, deht se rum ond moint: "A guets Bierle hand se scho, die Hund, die."
- "Woll, woll," stimmt dr Schorsch zue ond nimmt an ganz bewußte, tiefe Schluck, "obwohl se au scho alls mit Maschina
machet, ha i gheart."
"Ja, ja, die Handarbat goht ibrall aus, denk doch amole, wo i no klei war, do hand se s Malz no vo Hand gschauflet." Dr Kare
denkt verträumt an die gute, alte Zeita: "Mei Schorsch, ond die Doppelzentnarsäck, die hand mir no verlupft, gell."
Dera These setzt dr Schorsch noch am Schluck Bier on ar Denkpause sei Antithese entgege: "S Kreuzweh hammer ghet, detmols, ond in de
Bandscheiba hätt i s vielleicht au it derart kriegt, wenn mer die Sau-Säck do it allat lupfe miesse hättet. Des muesch scho au seah, gell.
Verlupft isch it glei verlupft, klar. Verlupft hammers scho, aber verlupft hammer eis au, gell, verlupft isch eabe it glei verlupft."
Dr Schorsch kichret ond freit sich seal am moischte über seine ausgfeilte Wortspielereia.
"Na, na", ma Kare passt des it so, "auf die Zeita lass i nix komme ond verlupft hammer eis fascht nie. Amend die schmächtige Bürschla aus dr
Stadt, die hot ja jeds Windle umgnomme, aber eis frei itta. So a Doppelzentnersäckle, des ha i dir ja no noch zehe Halbe vom Fuhrwerk ra glade, gell."
"Alls wiad andersch, viel aber it besser." Dr Schorsch lueget die Sacha gean grundsätzlich a, Details sind it sei Stärke. "Mankes scho," setzt
de Kare dgege. Er isch eher a Optimischt, der sich it unterkriege loht. Hor ar doch no mit Vierzge a kleins Reisebüro im Dorf aufgmacht,
s "Sonnenland". Viel Gschäft goht it, aber s langt grad zum leabe.
"Zum Beischpiel isch d Wealt viel kleiner wore, mit de Fliegar kennet mir iatz ibrall na, bis auf Neuseeland." Dr Kare grinst ond de Schorsch moint:"Scho reacht,
du Siach, du mit dei r Roiserei, machscha allat gherig Schprie, aber seal bisch ja au no niena gweah, gell." Dr Schorsch ma des Thema Roise
it so gean. "Iatz komm," verteidigt sich de Kare, "i frei mi halt, wenn die andre futfahret, dann ha i Drhoi mei Rueh ond a Gschäft isch es
au no für mi, des kut mer iazt it ganz bled vor." - "Jo, do hosch reacht, aber mit der Roiserei springet bei eis halt drfür heifeweis Fremde
omanand, sogar Japanar ond wer woiß no alls, am Schluss kommet mole no d Indianar vom Wilde Weschte rum zu eis. Wenn i bei eis dond am
Sonntag spaziere gau will, do wumslets blos no vo Radlar ond Wandrar, d Fealder sind vollar Autos vo ibrall her. Do hosch koi Rueh meh, die
verdappet di no amole, so sieht s aus. Bi ja grad froh, daß es heit reanget, do wiads die Radlar scho amend vo der Stroß naliche."
Dr Schorsch lachet bei der Vorstellung, wie die Radlar vo am Schwung Wasser vo dr Stroß nagschwemmt wearet. Wie moischtens, sieht dr Kare
die Sach vo ar andre Seite: "Aber Schorsch, iazt lue dr doch mole eisre Wiatschafta a, wie sottet die vo eis kleine Leit leabe, wenn mer am
Stammtisch a paar Halbe saufet ? Ohne die Fremde kinntet die moischte Wiatsleit heizedat zumache. Dann hand au die Bedinunga koi Arbat meh,
s wiad weniger Bier trunke, dann kennet d Brauereia au weniger Leit astelle ond so weiter." Bei deam Gedanke machtet boide glei mol meh a
frische Halbe vom "Gold" auf. Dr Kare führt sein Gedankegang weiter:"Ond do hert des no lang it auf, eisre Baure verkaufet weniger, weil ma
wenige Milch ond Käs braucht, weniger Floisch, dann d Bauere weniger Futter. Was do für Arbeitsplätz drahänget, des kennet mir eis gar it
vorstelle! Mir im Allgäu leabet vo de Fremde, so isches oifach, obs witt oder it!"
Dr Schorsch lupft sei Halbe a, se stoßed mitanand a:"Proscht Kare, do hosch it ganz oreacht. Wellaweg isch des alls it blos guet für eiser
Land, oder ? Alls wiad andesch, viel aber wegsdeam it besser, au do isch es so, gell." - "Proscht Schorsch, mit deam Spruch hosch halt
allat reacht."
Dr Schorsch lueget meh m Fenschter naus, aber do Dussa hot sich no gar nix gändret, s duet allat no kähl. "Heit wiet des nix meh, mit m Weatter,
los, Kare, i fahr di später dann hoi, gell." - "Ja, ja, später dann, Schorsch, mir pressierts it." Die vierte Halbe kut ahebe dra. "Du, die
Viert schmeckt fascht besser als die Escht, goht s dr it au so ?" Dr Kare nimmt glei mole an gherige Schluck ond sait: "Do hosch reacht, die
Allgäuar hand oifach a Ahnung vom Bierbraue." Iatz isch dann die Phase komme, wo d Zunge scho a bitzle lockerer wiat, aber it daß ma a
Räuschle hett, soweit sind die gstandene Philosophe no lang it.
"Nächt hand se de letscht Froschgrabe bei eis ausbaggret," fangt de Schorsch a nuis Thema a,k "am frühe Morge, wo i vrbeigradlet bi, do isch
no alls so gweah wie allat. Z Mittag dann, auf m Hoiweg ha id es ganze Elend gseah." D Auge vom Schorsch lueget ganz traurig: "Wo vorher no
Blümla, Moos ond Grashalm gstande sind, isch iatz a braunar, glattar Bode. Brutal mit m Baggar alls gradzoge ond leerbaggret, sauber aufgrummet
halt, so richtig deutsche Gründlichkeit, daß jo nix meh übrigbleibt, vo dr Natur. Iatz isch Feirobend mit de Schlüsselbluma ond deane andre
Pflänzla, die geit s nix Griens meh, los, do isch alls hie. Libella ond Fröschla ond Lurch hand se do meh de Gar ausgmacht, die wieschte
Siache, die wieschte. Für die kleine Schönhoita, die schene Winkel in eissrar Hoimat hand die profitgierige Siache koi Verständnis, blos s
Geald zehlt, suscht nix." Mit am dramatische Schlenkrar haut dr Schorsch sei Hand auf de Tisch, daß d Fläscha an Juckar machet. Dr Kare lueget iatz
zum Fenschter ond moint blos drucke: "Mai, guet, was solls, suscht hett ma die Viecher halt mit m Auto ztotgfahre."
Dr Schorsch hot aber scho noamole was auf Lager: "Toll isch au, daß dr Baur iatz besser zum Bschütte fahre ka, mit sei m 300-PS-Fendt ond
deam riesige Bschüttfass. Do überleg i mir allat, wieviel Laschtzüg mit Bier do dinn wohl Platz hättet. Wenn der bschüttet, dann braucht der
blos no zwoimole fahre, dann isch s Gschäl leer, ond dann ka ar meh aufs Kanapee flacke ond fernseh luege. Des isch die moderne Allgäuer Land
wirtschaft, sag i dir, des isch de Untergang vom kleine Allgäuar Baure. Eisre Fealder sind scho so zämetdruckt ond feschtgfahre, do wachst
numma viel. Die ganz Bschütte lauft natürle iatz au in de Bach nei, gell. I sag do blos: guet Nacht, Hoimat, so ka ma s Land sauber hiemache."
Langsam kut dr Schorsch in Fahrt, macht glei no die fünft Halbe auf ond will weitermache, aber de Kare bremst n wieder mole aus: "Iatz komm,
Schorsch, du muesch au des Gute seah, denk noch, beim nächste Festzelt do beim Baure auf m Feald, do kasch drum super neiparke, do verhocket
koinar meh. Gut, Gräs wachst au numma so viel, aber des juckt de Schützeverei dann ja it."
"Du bisch heit ja meh luschtig, Kare, genau weags so ar Eistellung sieht s doch bei de Baure so schleacht aus! Do zellt blos s Gealdverdiene,
daß möglichscht viel bleibt ond jedar jo koin kleinre Bulldog als dr Nachbaur hot! Was isch mit dr Natur, frog i mi do. Wenn scho die, die de
ganze Tag mit dr Natur schaffet, sich an Dreck drum schearet, wie wänd dann die paar Öko-Baure do was ausrichte ?" De Schorsch hot sich no
it beruhigt: "Do leabt ma in der schenschte Gegend vo ganz Deutschland, was sag i do: vo ganz Europa ond was tut ma ? Noranand alls hiemache!
Jedas Feald muss ebe sei, jedar Grabe zuegschüttet sei, jedar Sumpf drucke sei, jede Stroß broit wie a Autobah. Überhaupt die Stroßa: zu jedar
Schumpehütte muss a broite Teerstroß nagau, im Wald muss jedas Bäumle mit moards Forschtweg verroichbar sei, daß se joh mit deane Ernte
maschina fahre kennet, do wachst koi Blüme ond koi Moos meh. Dr Wald isch ja au, grad wie d Fealder, blos für d "Produktion" do, s ganze
Land wiad a große Fabrik. Ond des, was no koi Fabrik isch, muss für de Tourismus herhebe, sche bunt aufgmotzt, so isches doch oder ?"
Dr Kare isch it bsonders beeindruckt. Die Gschichta hot ar scho oft gnue vom Schorsch ghert. It, daß ar m Schorsch it reacht gea dät,"aber
vom Schwätze wiad au nix besser, gell Schorsch, des woisch du scho, oder ?" Schorsch nickt, se stoßed boide me a ond dann isch a Weile a
Rueh in dr Kuche.
"Schwätze hilft nix Kare, do hosch scho reacht." - "S interessiert ja au koin," moint de Kare, "was kennet mir zwoi scho do ?" De Schorsch
stoht mit am Ruck (scho a wink osicher) auf ond goht zum Fenschter. "Aber aufgeabe deafet mer au it, des wär schlimm." - "Na, na, aber was
bringts ? D Wealt dreht sich weiter, au wenn s eis ond eiser Allgäu dann numma geit." De Schorsch hockt sich meh na, de Kare klopft sei m Freind auf d
Schulter.
De Schorsch nickt bedächtig und seine Auge starret in a weite Ferne, als ob auf am Berggipfel wär ond sait richtig agrührt ond bewegt: "Iatz ha i s, iatz kut s:
Woisch Kare, ois wiad mer allat klarer: de eigentliche, tiefe Sinn in eisrem kleine Leabe isch ----"
"D Floischkiachla sind fetig!" ruft do d Vevi ond stellt a Pfanne voll auf de Tisch.
"-- ja dann: an Guete, gell."
Hochdeutsche Version:
Der Sinn im Leben
Kennen Sie die Allgäuer Philosophen-Tage ? Nein ? Ja, dann hören Sie mal zu:
Schorsch und Kare, zwei alte Freunde aus Zeiten, in denen es im Allgäu noch wesentlich wilder zuging, sitzen beim Kare in der Küche. Es ist
Samstag Nachmittag, Draussen regnet es stark und ein kühler Wind bläst, daß die Regentropfen wie wild auf die Fensterscheiben trommeln.
Vevi, Kares Frau steht am Herd und bereitet Frikadellen zu.
Genau solche Tage sind die Allgäuer Philosophen-Tage, weil ma da ausser herumsitzen und warten, bis die Sportschau beginnt, nichts zu tun hat.
Und wenn zwei Allgäuer eine Weile so herumsitzen, kommt des öfteren eine philosophische Unterhaltung zustande. Man sagt auch "Kuriosum" dazu.
Zuerst wird eine Flasche Export geöffnet, vorher geht gar nichts. Dann schauen sie eine Weile lang ruhig der Vevi zu, wie sie die Frikadellen
bereitet. Dann wird eine zweite Flasche geöffnet, auch diese wird schweigend leergetrunken und dann kommt die Dritte an die Reihe.
Kare blickt zum Fenster hinaus, dann hält er sich die Bierflasche vors Gesicht, dreht sie herum und meint:"Ein gutes Export haben die schon,
die Hunde." - "Stimmt genau," stimmt Schorsch zu und nimmt einen Schluck, "obwohl sie in Rettenberg drüben bereits auch alles maschinell
machen, habe ich gehört." - "Ja, ja, die Handarbeit geht überall zu Ende, denk doch nur, wo ich noch klein war, da wurde beim Zötler das
Malz noch per Hand geschaufelt." Kare denkt verträumt an die gute, alte Zeit."Und Schorsch, die Doppelzentnersäcke, die haben wir noch
geschleppt, was ?" Dieser These setzt Schorsch nach zwei Schluck Bier und einer Denkpause die seine entgegen:"Rückenschmerzen hatten wir
schon, damals, und die Bandscheibenprobleme hätte ich vielleicht auch nicht so stark bekommen, wenn wir die dämlichen Säcke da nicht immer
heben müssen hätten. Das musst du schon auch sehen, ja. Heben ist nicht gleich heben. Gehoben haben wir sie schon, aber verhoben haben wir
uns dann auch, heben ist nicht gleich heben." Schorsch kichert und freut sich an seinen ausgefeilten Wortspielereien. "Na, na", der Kare ist
so nicht einverstanden, "auf die Zeiten lasse ich nichts kommen und verhoben haben wir uns fast nie. Eventuell die schmächtigen Bürschchen
aus der Stadt, die schon, die hat ja jedes Lüftchen weggepustet, aber uns doch nicht. So ein Doppelzentnersäckchen habe ich dir ja noch mit
10 Flaschen Bier vom Fuhrwerk abgeladen."
"Alles verändert sich, vieles jedoch wird nicht besser." Der Schorsch betrachtet Dinge gerne Grundsätzlich, Details sind nicht seine Stärke.
"Manches schon", hält Kare dagegen. Er ist eher ein Optimist, der sich nicht unterkriegen lässt. Hat er doch mit vierzig noch ein kleines
Reisebüro im Dorf eröffnet, das "Sonnenland". Viel Geschäft geht nicht, jedoch reicht es gerade zum Leben. "Zum Beispiel ist die Welt viel
kleiner geworden, mit den Flugzeugen können wir jetzt überall hin fliegen, bis nach Neuseeland." Kare grinst. "Schon recht, du Lümmel, du mit
deiner Reiserei, machst dauernd große Sprüche, aber selber bist du noch nirgendwo gewesen." Der Schorsch mag das Thema Reisen nicht. "Jetzt
komm aber", verteidigt sich Kare, "ich freue mich, wenn andere verreisen, dann habe ich zu Hause mehr Ruhe und für das Geschäft ist es auch
gut, das scheint mir jetzt nicht dumm zu sein." - "Ja, da hast du auch recht, aber mit dem Reisen laufen bei uns halt dafür viele Fremde
herum, sogar Japaner und wer weiß noch alles, am Schluss kommen noch die Indiander vom Wilden Westen. Wenn ich bei uns am Sonntag ums Haus
herum spazieren gehen will, dann wimmelt es von Radfahrern und Wanderern, die Wiesen sind mit Autos von überall her zugeparkt. Da hat man
keine Ruhe mehr, die trampeln alles zusammen, so siehts doch aus. Ich bin ja gerade froh, daß es heute mal regnet, da wirds die Radler schon
mal von der Straße herunterspülen." Der Schorsch lacht bei der Vorstellung, wie die Radler von einem Schwall wasser von der Straße geschwemmt
werden. Wie meistens, sieht Kare die Dinge von einer anderen Seite an:"Aber Schorsch, jetzt schau dir doch mal unsere Gasthäuser an, sollten
die von uns kleinen Leuten leben, wenn wir am Stammtisch ein paar Bier trinken ? Ohne die Touristen könnten die meisten Gasthäuser heute
schließen. Dann haben auch die Bedienungen keine Arbeit mehr, es wird weniger Bier getrunken, dann können die Brauereien auch weniger Leute
beschäftigen und so weiter." Bei dem Gedanken machen beide gleich mal eine frische Flasche "Gold" auf. Kare führt dann seinen Gedankengang
weiter: "Und da hört es noch lange nicht auf, unsere Bauern verkaufen weniger, weil man weniger Milch und Käse braucht, weniger Fleisch, was
da alles für Arbeitsplätze dranhängen, das könnne wir uns gar nicht vorstellen.! Wir im Allgäu leben von den Fremden, das ist eine Tatsache,
ob s dir gefällt oder nicht.!"
Der Schorsch hebt sein Bier und sie stoßen an: "Prost Kare, da hast du nicht ganz unrecht. Und trotzdem ist das alles nicht nur gut für unser
Land, oder ? Alles wird anders, vieles jedoch nicht besser, dies gilt auch hier." - "Prost Schorsch, mit diesem Spruch hast du doch immer
recht."
Schorsch blickt zum Fenster hinaus. Es hat sich jedoch dort Draussen nichts geändert, immer noch herrscht scheussliches Wetter. "Heut wird
das nichts mehr, mit dem Wetter, hör zu Kare, ich fahre dich später dann nach Hause, ok ?" - "Ja, ja, später dann Schorsch, ich habe keine
Eile." Das vierte Bier kommt an die Reihe. "Du, die vierte schmeckt fast besser als die erste, geht es dir nicht auch so ?" Kare nimmt gleich
nochmal einen Schluck und sagt: "Da hast du recht, in Rettenberg haben die einfach ne Ahnung vom Bierbrauen." Jetzt ist dann die Phase gekommen,
wo die Zunge bereits lockerer wird, aber nicht daß sie betrunken wären, so weit sind diese gestandenen Philosophen noch lange nicht.
"Gestern haben sie den letzten Froschgraben bei uns ausgebaggert", fängt Schorsch ein neues Thema an, "am Morgen Früh, wo ich vorbeigeradelt
bin, war noch alles so wie immer. Zu Mittag dann, auf dem Nachhauseweg sah ich das ganze Elend." Die Augen vom Schorsch blicken ganz traurig:
"Wo vorher noch Blumen, Moos und Grashalme standen, ist jetzt braune, glatte Erde. Brutal mit dem Bagger alles geradegezogen und leergebaggert,
sauber aufgeräumt halt, so richtig deutsche Gründlichkeit, daß auch sicher nichts mehr übrigbleibt. Jetzt ist Schluss mit den Schlüsselblumen
und den anderen Pflänzchen, da gibt es kein Grün mehr, hör, da ist alles kaputt. Libellen und Frösche und Lurche, denen haben die den Gar
ausgemacht, die Scheusale, die schrecklichen. Für die kleinen Schönheitenö, die schönen Stellen in unserer Heimat haben diese profitgierigen
Kerle kein Verständnis, nur das Geld zählt, sonst nichts." Mit einem dramatischen Schlenkerer schlägt der Schorsch seine Faust auf den Tisch,
daß die Flaschen einen Hüpfer machen. Kare schaut zum Fenster hinaus und meint nur trocken:"Gut, was solls, sonst hätte man die Viecher halt
mit dem Auto totgefahren."
Schorsch hat schon nochmal etwas auf Lager:"Super ist auch, daß der Hiemer jetzt besser zum Dungstreuen fahren kann, mit seinem 300-PS-Fendt
und dem riesigen Faß. Da überlege ich mir immer, wieviele Lastzüge mit Bier da drinn wohl Platz hätten. Wenn der Gülle ausfährt, dann braucht
der zur zweimal zu fahren, dann ist die Güllegrube leer, dann kann er wieder aufs Sofa liegen und fernseh schauen. Das ist die moderne
Landwirtschaft, sag ich dir, das ist der Untergang des Allgäuer Bauern. Dessen Felder sind bereits so zusammengedrückt und festgefahren, da
wächst nicht mehr viel. Die ganze Gülle läuft natürich in den Bach. Ich sag da nur: gute Nacht, Heimat, so kann man unser Land auch kaputtmachen."
Langsam kommt der Schorsch in Fahrt, öffnet gleich mal das fünfte Bierchen und will weitermachen, jedoch Kare bremst ihn mal wieder aus:
"Jetzt komm Schorsch, du musst auch das Gute sehen, denk doch, beim nächsten Festzeltbetrieb da beim Hiemer auf der Wiese, da kannst du jetzt
super reinparken, da bleibt keiner mehr mit dem Auto stecken. Gut, das Gras wächst auch nicht mehr so viel, aber das stört den Schützenverein
dann ja nicht."
"Du bist heute ja wieder lustig, Kare, genau wegen dieser Einstellung sieht es doch bei den Bauern so schlecht aus! Da zählt nur das Geldverdienen,
daß möglichst viel übrigbleibt und jeder darf ja keinen kleineren Traktor als der Nachbar fahren. Was ist mit der Natur, frage ich mich da.
Wenn schon diejenigen, die den ganzen Tag mit und in der Natur arbeiten, sich einen Dreck um die Natur scheren, wie wollen dann die paar
Öko-Bauern oder Grüne etwas ausrichten!" Der Schorsch hat sich noch nicht beruhigt:"Da lebt man in der schönsten Gegend von ganz Deutschland,
ja was sage ich: von ganz Europa und was tut man ? Nach und nach alles zerstören! Jede Wiese muss eben sein, jeder Graben zugeschüttet, jeder
Sumpf trockengelegt sein, jede Straße so breit wie eine Autobahn sein. Überhaupt, die Straßen: zu jeder Viehhütte muss eine breite Teerstrasse
hinführen, im Wald muss jedes Bäumchen mit bombastischen Forstwegen erreichbar sein, daß sie mit den neuen "Erntemaschinen" fahren können, da
wächst dann kein Blümlein und kein Moos mehr. Der Wald ist ja genauso wie die Wiesen nur für die "Produktion" da, das ganze Land wird eine
große Fabrik. Und das Bisschen, das keine Fabrik ist, das muss dann für den Tourismus bereitet sein, so ist es doch, oder ?"
Kare gibt sich nicht besonders beeindruckt. Die Geschichten hat er jetzt schon oft genug vom Schorsch gehört. Nicht, daß der Schorsch nicht
recht hätte, "Aber vom Reden wird auch nichts besser, ja Schorsch, das weißt du schon, oder ?" Schorsch nickt, sie stoßen beide an und dann
ist eine Weile Ruhe in der Küche.
"Reden verändert nichts, Kare, da hast du schon recht." -"Es interessiert ja auch keinen," meint Kare,"was können wir beide schon ausrichten ?"
Schorsch steht mit einen Ruck (bereits ein wenig unsicher) auf und geht zum Fenster. "Aber aufgeben dürfen wir auch nicht, das wäre schlimm."
- "Nein, nein, aber was bringt es ? Die Welt dreht sich weiter, auch wenn es uns und unser Allgäu nicht mehr gibt." Der Schorsch setzt sich
wieder und Kare klopft seinem alten Freund auf die Schulter.
Schorsch nickt bedächtig, dann starrt er in die Ferne, weit weg, als ob er auf einem Berggipfel wäre und sagt richtig angerührt und bewegt:
"Weisst du Kare, eines wird mir immer klarer: der eigentliche, tiefste Sinn im Leben ist ----"
"Die Frikadellen sind fertig!" ruft da die Vevi und stellt die Pfanne auf den Tisch.
"--ja dann: guten Appetit!"