Der störrische Esel
Der Müller, der im Wald mit seiner Frau wohnte, hatte einen Esel als Lasttier. Damals sind
die Menschen noch nicht mit dem Auto gefahren. Pferde waren dem Müller zu teuer, und deshalb
hatte er sich letztes Jahr auf dem Markt einen Esel gekauft.
Im Frühling war es wieder mal so weit, dass der Müller ins Dorf zum Einkaufen musste. Bisher
hatte er immer mit einem Leiterwagen, den er hinter sich herzog, die Vorräte nach Hause gebracht.
Aber in diesem Jahr ritt er auf dem Esel und nahm ein paar große Satteltaschen mit. Es war ein
herrlicher Tag, der Ritt ins Dorf war für den Müller ein Genuss und das Einkaufen machte ihm auch
sehr viel Spaß, denn er bekam einige Dinge sehr günstig und er fand auch noch eine schöne neue
Tabakspfeife für sich.
Nur der Heimweg wurde etwas unangenehmer. Nach dem Dorf ging es über einen Hügel in Richtung Wald,
in dessen Mitte die Mühle stand. Der Esel war voll beladen und so ging der Müller neben ihm her,
um das Tier zu schonen. Mitten im Aufstieg zum Hügel blieb der Esel stehen. "Also gut, machen wir
ein Pause", dachte sich der Müller und setzte sich am Wegrand ins Gras und trank einen Schluck
Apfelsaft. Nach zehn Minuten wollte er wieder aufbrechen. Es war nämlich sehr heiss, der Apfelsaft
war zu Ende und der Rückweg war noch weit. Zudem sah es so aus, als ob bald ein Gewitter aufziehen
würde und da ist es natürlich besser, zu Hause zu sein, als mitten im Wald zu stehen.
Jedoch dem Esel schienen all diese Gründe zu wenig: er rührte sich nicht vom Fleck. Der Müller rief
und schimpfte, befahl, drohte, bettelte und streichelte ihn; es nützte nichts. Der Esel blieb genau
dort, wo er vor einer Viertelstunde anhielt, stehen. Da versuchte der Müller, den Esel zu schieben,
doch es war umsonst. Der Müller hatte alles versucht, was ihm nur in den Sinn kam. Voller Wut und
Ärger lief er neben dem aufsässigen Tier im Kreis herum.
Da kam ein Wanderer des Weges. "Holla, Meister, was führst du da für einen merkwürdigen Tanz auf ?"
rief der Mann ihm entgegen. Der Müller schilderte ihm seine missliche Lage. "Aber das ist doch ganz
offensichtlich, was der arme Esel braucht", meinte der Wanderer,"er ist einfach zu schwer beladen.
Du musst alles abladen und den Esel eine Strecke ohne Last führen, damit er sich erholen kann. Danach
wird er dich gut nach Hause bringen." Mit diesen Worten ging der Wanderer weiter, auf das Dorf zu.
Der Müller tat sofort, was der Wanderer ihm geraten hatte und lud vom Esel alle Lasten ab. Dann
versuchte er, den Esel zum Weitergehen zu bewegen. Der ia-te nur zweimal und blieb wie festgewachsen
stehen. Da blieb dem Müller nichts anderes übrig, als den Esel wieder zu beladen. Nach dieser schweren
Arbeit legte sich der Müller wütend und erschöpft ins Gras, um ein wenig auszuruhen.
"Holla, Gevatter, du machst aber früh am Tag schon ein Schläfchen. Steh auf und reise weiter, sei doch
nicht so faul!" hörte er kurz darauf eine Stimme rufen. Der Müller öffnete die Augen und sah eine
Bauersfrau vor sich stehen. Sie hatte die Arme in die Hüfte gestemmt und blickte ihn streng an.
Da erzählte der Müller nocheinmal die Geschichte von dem störrischen Esel. "Du bist doch selber ein
Esel!" schimfpte die Bäuerin. "Natürlich geht er nicht mehr weiter, der hat doch Hunger. Würdest du
etwa ohne Essen solche Lasten schleppen ? Bringe ihm Gras und Disteln, dann springt er wieder voller
Freude." Der Müller schaute fragend den Esel an, doch der zeigte keine Reaktion. "Vielleicht hast du
recht.."murmelte er. "Also, los, worauf wartest du noch ?" rief die Bäuerin und ging weiter.
Der Müller lief zur Wiese, pflückte Gras, Blumen, Disteln und sogar noch ein paar Gelberüben vom Acker
nebenan und legte alles vor den Esel hin. Der blickte recht gelangweilt und wendete seinen Kopf weg.
Er sah überhaupt nicht aus, als ob er Hunger hätte. Der Müller versuchte es noch mit lockenden,
freundlichen Worten, doch es war wieder einmal umsonst.
Jetzt wusste der Müller sich keinen Rat mehr. Er nahm sich vor, den Esel zu verkaufen und die Lasten
selber nach Hause zu tragen. Gerade wollte er den Esel an einem Baum festbinden, als eine dicke Hummel
vorbeiflog. Es war Bonzo, den der Müller von früher her kannte.
"Hallo, Müller, wie gehts denn so ?" rief Bonzo und setzte sich dem Müller auf die Schultern. Da erzählte
der MÜller seinem kleinen Freund den Ärger mit dem Esel. "Leider kann ich dir beim Lasten schleppen
nicht helfen, aber so wie ich den Esel kenne, ist er nur zu faul und zu störrisch, um weiterzugehen.
Aber ich habe eine Idee." Bonzo flüsterte dem Müller etwas ins Ohr. Der Müller lachte und meinte: "Das
ist gut, das versuchen wir."
Der Müller band den Esel wieder los und setzte sich auf seinen Rücken. Natürlich blieb der Esel weiterhin
stehen. Da kam Bonzo angeflogen und piekte den Esel mit seinem Stachel in den Hintern. Mit einem
erschrockenen i-a fing der Esel an zu traben. Nach ein paar Metern blieb er wieder stehen. Da kam Bonzo
wieder angeflogen und piekte den Esel ein zweites Mal. Der Esel machte wiederum ein paar Schritte, und
so ging es weiter, bis es dem störrischen Grautier zu dumm wurde und er von alleine wieder lief. Das hat
den Müller sehr gefreut. Bonzo bekam an der Mühle eine besonders große Portion Honig.
So ist die Geschichte doch noch gut ausgegangen. Seither hat der Esel dem Müller keine Schwierigkeiten mehr
gemacht.