Die Schulschwänzer



Es war ein herrlicher Sommermorgen. Im Wald zwitscherten die Vögel aus voller Kehle.
Sie freuten sich, dass Gott nach der ruhigen Nacht einen neuen Tag erschaffen hatte.
So könnte man meinen, dass alle Tiere bester Laune wären, aber es war nicht so.
Schauen wir doch mal dem Häsle zu, was es an einem so schönen Morgen alles macht.

"Ich will nicht in die Schule!" hört man es im Hasenhaus rufen.
"Du musst aber, mein Lieber," antwortete die Mama streng. Das Häschen sass am Tisch
und ass sein Frühstück: Haferflocken mit Milch und Gelberübenzucker.
Ärgerlich blickte es seine Mama an, die schon die Pausenbrotzeit vorbereitet hatte.
Obwohl es heute frischen Wirsing zur Pause gab, wollte das Häschen nicht in die Schule.

Nicht, weil es so dumm oder faul gewesen wäre, oder mit den Kameraden nicht auskommen
würde, nein: nur weil heute so schönes Wetter war und weil es viel lieber in den Wald
zum Spielen wollte. Dabei war es in der Schule auch sehr schön, aber so sind die
Kinder manchmal.
Alles Schimpfen hatte nichts geholfen, die Mama schob das Häschen samt Schulranzen
zur Türe hinaus. "Und jetzt ab mit dir, du Lauser", sagte sie liebevoll zum Abschied.

Das Häschen war noch nicht weit gehoppelt, da traf es die Igel Billi und Willi auf
der Strasse. Die Tiere hatten nur eine Schule am Waldrand. Es wäre einfach zu umständlich,
wenn die Igel in die Igelschule, die Hasen in die Hasenschule, die Pferde in die
Pferdeschule und die Wildschweine in die Wildschweinschule gehen müssten.
Deshalb sind hier im Wald alle Tiere in einer Klasse in einer Schule zusammen.
Das machte auch viel mehr Spaß. Nur das Wildschweinbaby war noch zu jung, es musste
noch zwei Jahre warten, bis es endlich die Schule besuchen dürfte.
Als das Häschen die Igel sah, brummte es "Guten Morgen" und die Igel brummten auf die
selbe Weise zurück.
"Sagt mal, habt ihr auch überhaupt keine Lust, heute zur Schule zu gehen ?" fragte das
Häschen. "Ja, wir wollen viel lieber im Wald spielen, aber unsere Mami erlaubt es nicht",
schimpfte Billi. Und Willi meinte: "Wo doch heute sooo super Wetter ist!"
Als sie ihren Weg fortsetzten, kamen Gerti und Rosalinde herangeritten.
Die beiden hatten auch wenig Lust, an einem so schönen Tag zur Schule zu gehen. Und
je mehr sie gemeinsam herumschimpften, um so weniger Lust hatten sie.

Da kam dem Häschen eine Idee. "Dann gehen wir halt einfach nicht hin, wenn wir alle
nicht wollen, sondern machen einen Wald-Abenteuer-Ausflug!"
Sofort waren sich alle einig: wir schwänzen heute die Schule!
Dann stürmten sie los in Richtung Waldwiese und sangen dauernd:
"Schule schwänzen, das ist schön, wir wollen heut zum Spielen gehn!"
So eine freche Bande!
Auf dem Weg zur Waldwiese kamen sie bei Wildschweins vorbei und erzählten dem Baby,
was sie heute vorhatten. Da wollte es natürlich mit und stahl sich heimlich davon,
den anderen hinterher.
Auf der Waldwiese spielten sie lange Zeit Verstecken und hatten viel Spaß zusammen.
"Das ist doppelt so schön, wenn man eigentlich in der Schule sitzen und lernen müsste!"
rief Willi der Igel übermütig.
"Ja, und Hausaufgaben gibt es auch keine!" stimmte das Häschen zu.
Wisst ihr, was besonders witzig war ? Nämlich, dass die Rosalinde beim Verstecken spielen
am wenigsten gefunden wurde. Sie hatte sich jedesmal so geschickt hinter den Büschen und
Bäumen verborgen, dass die anderen sie kaum entdecken konnten. Die Igel fand man ziemlich
leicht, man musste ja nur herumgehen und mit der Hand umhertasten. Wo etwas stachelig war,
hatte man sofort einen der Igel geschnappt.
So spielten und lachten die Tierkinder, bis sie nicht mehr konnten. Müde und erschöpft
kuschelten sich dann alle an Rosalinde und hielten Mittagsschlaf.
Als sie nach einer Stunde aufwachten, hatten alle Hunger und wollten sich auf die mitgebrachten
Pausebrote stürzen. Aber an dem Stein, wo sie die Brote abgelegt hatten, fanden sie nur
noch ein paar Krümel.
Das Wildschweinbaby jammerte sofort los: "Ich hab doch so Hunger, oh weh, oh weh!"
"Man hat uns beklaut, während wir schliefen!" sagte Gerti entrüstet. "Los, kommt, den Dieb
werden wir uns schnappen!" Die Tiere liefen jeder in eine andere Richtung und suchten die
ganze Wiese genau ab. Das Häschen rief laut:"Oh weh, das sind ja Fuchsspuren!" Schnell
liefen die anderen zum Häschen hinüber. Besorgt blickte es auf den Boden. Bille meinte
"Das muss ein junger Fuchs sein, die Abdrücke sind sehr klein. Wisst ihr was ? Wir spielen
Fuchsjagd und holen uns die geklauten Brote wieder zurück!" - "Ja, auf gehts, nichts wie
hinterher!" johlten die Kinder übermütig und folgten Billi, der schon vorausgelaufen war.

Der Fuchs war immer geradeaus gelaufen, bergauf, bergab, über Bäche und durch Büsche
zog sich seine Spur. Die Verfolger wollten schon aufgeben, da entdeckten sie den Fuchs
ein Stück weiter unten im Moos liegen. Er schlief und genoss die Sonnenstrahlen, die sein
Fell wärmten.
Vorsichtig schlichen die Tiere auf ihn zu. Sie umzingelten ihn und das Wildschweinbaby
stupste den Fuchs zögernd mit seiner Schnauze an.
Mit einem Ruck erwachte der Fuchs und wollte sofort fliehen, aber die beiden Igel und
das Häschen hielten ihn fest.
"He, was soll das, was wollt ihr von mir ?" rief der Fuchs ängstlich. "Du hast unser Brot
aufgegessen, du Dieb!" schimpfte das Häschen. "Habt Erbarmen mit mir, ich war ja sooo hungrig.
Wisst ihr, mein Papa ist krank und meine Mama ist für ein paar Tage zu Besuch bei Verwandten
und so habe ich schon lange nichts mehr gegessen. Es tut mir ja leid, aber eure Brote lagen
so schön auf dem Stein, da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Bitte, seid mir nicht
böse."
"Na ja, wenn das so ist, dann wollen wir dir natürlich verzeihen", sagte Rosalinde, "ich hoffe,
die Brote haben dir geschmeckt."
Der Fuchs nickte und sagte: "Übrigends, ich heisse Ferdi. Und wer seid ihr ?" Da stellten die
Tiere sich alle vor und sie beschlossen ein Weilchen bei ihm zu bleiben, damit er nicht so
alleine ist. "Wollen wir Himbeeren pflücken ? Ich kenne eine Stelle, wo besonders viele
wachsen. Kommt mit!" Ferdi war ganz aufgeregt.
Schon raste die ganze Meute hinter dem jungen Fuchs her. Sie verbrachten den ganzen Nachmittag
zusammen bei den Himbeeren und hatten viel Spaß mit ihrem neuen Freund.
Als es dunkel wurde, meinte Rosalinde, es wäre höchste Zeit, nach Hause zu gehen. "Mein Bauer
macht sich gewiss schon Sorgen", meinte das Pferd. Und obwohl die andren noch gar keine Lust
hatten, nach Hause zu gehen, schlossen sie sich Rosalinde an.
Ferdi zeigte ihnen den Waldweg, der zum Bauernhof führte. Sie verabschiedeten sich von ihm
mit dem Versprechen, ihm morgen bereits wieder zu besuchen.

Ihr könnt euch ja denken, dass die Eltern der Tiere nicht begeistert waren von dem Schulschwänzer-
Tag und dem späten Nachhausekommen.
So bekam jeder der Ausreisser eine Strafe und am nächsten Tag mussten sie doppelte Hausaufgaben
machen. Deshalb hatten sie leider keine Zeit, Ferdi zu besuchen.
Aber am Tag darauf war Samstag und da zogen die Tierkinder sogleich los, um den Tag mit ihrem
neuen Freund zu verbringen. 02/94