Vor 100 Jahren gab es über 60 Käsehändler in Kempten
Über Käse aus dem Allgäu, die Fabrikanten, Lager und Großhändler in Kempten in den Jahren 1870 bis 1969
referierte Margarete Prokop beim Heimatverein Kempten. Ihr Vater und ihr Großvater waren mit ihrer Firma
Oskar Wetzel als Käsehändler aktiv und so konnte sie aus erster Hand über den Wandel in der Branche sprechen.
"Bis in die 1920er Jahre gab es über 60 Betriebe, in denen 500 bis 600 Menschen beschäftigt waren", skizzierte
Prokop. Dazu kamen die Zulieferer und das begeleitende Gewerbe. Kempten hatte damals 20000 Einwohner.
Die Basis für den Allgäuer Käsehandel lieferte der Anschluss an das bayerische Bahnnetz. "Durch den Bau des Bahn-
hofs 1852 wurde das städtische Umfeld neu strukturiert. Rund um den Bahnhof siedelten sich Käsehändler, Speditionen,
Verpackungsbetrieb und Banken an."
Eine der Hauptachsen war wohl der Bereich Mozart- und Immenstädter Straße, wo Prokop allein 21 Käsebetriebe auf-
zählte. Darunter waren bekannte Namen wie die Familie Schnetzer, die Gebrüder Rinker und August Elhardt.
Ein besonderes Augenmerk legte sie auf die jüdische Familie Strauss, die ihren Käsehandel in der Immenstädter
Straße 44 betrieb. Jacob Strauss kam 194 mit seiner Frau Rosa und vier Kindern aus Eisenach nach Kempten und
startete erfolgreich sein Geschäft. Im Rentenalter zog er mit einer Tochter nach Bonn, sein Sohn Josef führte den
Handel bis 1938 weiter und floh dann wegen der NS-Repressalien über Liechtenstein ins sichere Ausland.
"Der Betrieb wurde dann von Johann Hartmann aus der Inneren Rottach arisiert", sagt Prokop. Ein weiterer jüdischer
Käsehandel gehörte den Gebrüdern Victor in der Haslacher Straße 5. Luis Victor starb im KZ Piaski, sein Bruder
Max in Lodz.
Im Umfeld des Bahnhofs siedelte sich auch der Großvater von Prokop an. 1904 gründete er seinen Käsehandel und kaufte
1927 das Haus in der Alpenstraße 19. Das Anwesen gehörte zuvor Graf Alfred Eckabrecht von Dürckheim-Montmartin, der
es wohl am Spieltisch verlor. In den ersten Jahren bis 1910 arbeitete Wetzel (1874-1941) mit Wilhelm Hornung zusammen
und stand dann auf eigenen Füßen. Sein Sohn Hermann (1908-1979) war derweil im Außendienst tätig. "Vater fuhr jeden
Winter bis nach Königsberg. Die Käseproben hatte er im Koffer dabei." Auf den Rechnungsvordrucken der Firma findet
sich noch heute das Sortiment: Allgäuer Limburger, Romadur, Edamer und Emmentaler.
Rund um den Bahnhof in Kempten gab es zwölf Betriebe, in der Innenstadt neun und entlang der Lindauer Straße bis nach
Rothkreuz summierte Prokop 17 Standorte auf, von Alfred Hindelang bis zum Grünland-Käsewerk.
Wie kam es zum Zusammenbruch der Branche ? "Bis zum Ersten Weltkrieg war der Käsehandel von einzelnen Kaufleuten organ-
isiert, das änderte sich in den 1920er Jahren rapide. 1921 wurde die Allgäuer Butter- und Käsebörse gegründet. Bis 1925
schlossen 15 Käsehändler zu und ab 1933 wurden auf Druck der NS-Verwaltung die Käsebörse aufgelöst, vier jüdische Betriebr
geschlossen und weitere 20 Betriebe erloschen."
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei der Kahlschlag weitergegangen, sagte Prokop. Mit dem "Bayerischen Molkereiverband
Kempten" wurde eine Verkaufsgenossenschaft gebildet, aus der Anfang der 1980er Jahre die "Molkereizentrale Süd" wurde und
die heute Bayernland mit Sitz in Nürnberg heißt.
Am Ende blieben in Kempten die Edelweiß Milchwerke und zwei klassische Käsehändler übrig: Das Käsespezialgeschäft Geiger in
der Promenadenstraße und Jamei Laibspeis am Hildegardsplatz.
Aus der Allgäuer Zeitung vom 14.10.2023