Die Kalkbrennerei in Schrattenbach und Probstried
Geht man von der Schrattenbacher Kirche die Allee hinunter Richtung Ussenried, erinnert auf der
linken Seite ein Gedenkkreuz an einen tödlichen Arbeitsunfall beim Graben nach Kalksteinen im
Jahr 1832. Nach dem Unfall wurde hier zur Erinnerung eine Bildsäule errichtet. Wahrscheinlich
war die Bildsäule im Lauf der Jahre verwittert, denn Pfarrer Mathias Graf schreibt, dass er 1914
die Bildsäule durch ein eisernes Kreuz mit dem alten Vers darauf ersetzen ließ.
Der Vers lautet:
Hier in dieser Steingrub eben mußt ich meinen Geist aufgeben. Es fiel ein Stein auf mich herab
und brachte mich ins frühe Grab. Michael Graf war einst mein Name und bitt um ein Vater unser.
Amen. 1832.
In der Rosette über dem Christus ist die Todeszeit, 11.50 Uhr, angegeben. Nach Jahrzehnten war
das Kreuz zerfallen. Aber anstatt die Reste des Kreuzes wegzuwerfen, verwahrte Xaver Holdenried
die Teile auf dem Dachboden seines Hofes. Als Siegfried Sailer aus Dietmannsried nach dem Kreuz
forschte, erinnerte sich Franz Holdenried an das Kreuz, das sein Vater auf den Dachboden gebracht
hatte. Die Gemeinde ließ es restaurieren und seit 2005 steht es wieder an der Allee.
Der erste Hinweis auf die Kalkbrennerei in Schrattenbach stammt aus dem Jahre 1529. Damals wurde
ein Acker "im Mittelesch beim Kalchofen" verkauft. In drei Hofratsprotokollen des Fürststiftes
Kempten von 1645 ist ein Rechtsstreit zwischen den Kalksteingräbern, den Bauern und den Kalkstein-
brennern in Schrattenbach dokumentiert. Anscheinend waren die Kalksteinbrüche am Standort des
Ofens an der Halde nicht mehr ergiebig genug. Deshalb bauten die Kalkbrenner den neuen Ofen auf
eine Viehweide gegen Ussenried zu, die für ihre Zwecke geeignet schien.
Leute, die an dieser Viehweide berechtigt waren, beschwerten sich daraufhin beim Hofrat in Kempten.
Sie sagten, wenn auf ihren Fluren das Kalkbrennen nicht verboten würde, könnten sie ihrem Pfarrer
und dem Stift nicht mehr den vollen Zehnten geben.
Außerdem wollten es die Bauern nicht dulden, dass ihre Felder durch das Graben nach Steinen durch-
wühlt wurden und dadurch eine wirtschftliche Schmälerung ihrer Viehweide entstand.
(Anmerkung: der bucklige Hang zwischen Schrattenbach und Ussenried ist noch Zeugnis dieses durch-
wühlten Geländes.
Aus den Hofratsprotokollen von 1645 geht hervor, dass sich das Stift gegen die Beschwerde führenden
Bauern entschieden hat. Warum wohl ?
1632 war das Stift und die Stiftskirche völlig zerstört worden. Um billiges Baumaterial für den
Wiederaufbau zu bekommen, hatte der Fürstabt anscheinend seinen Beamten befohlen, zwischen den
strittigen Parteien einen für die Kalkbrenner günstigen Vergleich zuwege zu bringen. Das Urteil sah
kurz gefasst so aus:
Die Steingräber sollten die Felder wieder einebnen nach dem Ausgraben der Steine. Somit hätten die
Bauern keinen Schaden. Die Kalkbrenner wurden nicht belastet. Dafür konnten aber die Kalkbrenner
den Verkaufspreis nicht mehr bestimmen, sondern das Stift wurde berechtigt, in Schrattenbach Kalk
zu kaufen, wenn es welchen brauchte und zwar zu dem Preis, den das Stift zahlen wollte. Die Kalk-
brennerei war in den folgenden drei Jahrhunderten ein wichtiger Wirtschaftszweig in Schrattenbach
und Probstried. Daß die Kalkbrennerei ein einträgliches Geschäft war, belegt der Auszug aus folgen-
der Aufzeichnung:
Kaspar Rauch auf dem Büchel zu Schrattenbach, nach Probstried pfarrig? ist vor vielen Jahren vorm
Krieg gestorben (30-jähriger Krieg)...hernach aber, da er den kalchofen von der gemeindt zu Schra-
ttenbach bestanden, ist er reich geworden, hat den meisten Teil Felder von Christa Lang aldort ge-
kauft....hat er andere Äcker in der gemeindt zusammengekauft; nach seinem Tod aber seindt seine
Söhne verdorben und ist das Gut stuckweise in der Gemeindt verkauft worden.
Graben nach Kalksteinen:
Das Graben nach den Kalksteinen war nicht ungefährlich (siehe Gedenkkreuz an der Allee). Pfarrer
Matthias Graf (1907 bis 1917 in Schrattenbach) berichtet:
12 bis 13 Mann gingen von Schrattenbach im Winter in die Steingrube mit Holzschuhen und zwilchener
Hose. Man grub bis zu 8 m tief ohne wesentliche Absicherungen. So waren auch Unfälle vorprogramm-
iert. Ein gewisser Rauch von Buchen wurde totgeschlagen. Die Bildsäule steht noch am Weg nach Ge-
meinderied (jetzt schon lange nicht mehr). Der Breher Martin von Ussenried wurde bis zum Kopf ver-
schüttet. Man holte den Herren (Pfarrer). Als dieser mit dem Allerheiligsten kam, sagte man ihm:
"Marte, richt di, iatz kut de Herr." Der Mann aber sprach: "Ich möchte lieber raus."
Im Dezember 1962 wurde ein Gespräch mit dem über 70 jährigen Alois Rauh von Buchen aufgeschrieben.
Er war in Buchen geboren und half auf dem elterlichen Betrieb noch seinem Vater Johann bei der
Kalkbrennerei. Sein jüngerer Bruder Georg brannte 1937 das letzte Mal. Über das Graben berichtet er:
Es wurde ein etwa 1 bis 2 m tiefes Loch ausgegraben. Dann wurde in der Breite weiter gegraben bis
zu 10 m weit, je nach Kalkvorkommen. Die Erde brauchte ja nur noch nach rückwärts geworfen werden.
Man brauchte ein geübtes Auge, um die Kalksteine von gewöhnlichen Steinen unterscheiden zu können.
Zum Schluß wurde die Grube wieder etwas geebnet. Die Kalköfenbesitzer haben die einzelnen Fuhren
aufgekauft. Alois Rauh bezahlte für einen ganzen Brand Steine 120,00 RM. Es standen Kalköfen in
Gschlavers (1 Ofen), Todtenberg (3), in Probstried (1), in Ussenried (2) und in Wohlmuts (2).
Das Banken und Brennen:
Alois Rauh konnte noch genau den Vorgang des Kalkbrennens beschreiben. Die Öfen wurden aus hitze-
beständigen Ziegeln (aus Stetten) eiförmig an einen Berg hingebaut. Sie waren innen etwa 3 m tief
und auch so weit. Das Schürloch vorne war ummauert. Anfangs war der Ofen oben noch offen. Nun be-
gann das "Einbanken" vom anlaufenden Berg aus. Dies musste mit viel Geschick geschehen. Schwere
Steine wurden vorsichtig mit dem Seil hineingelassen, kleinere wurden mit Körben hineinbefördert.
Zwischen die vielen Steine wurden Holzpfähle gelegt. Diese brannten ja bald ab, aber der Luftzug
war dann noch da. Das Ganze musste gut halten, durfte nicht zusammenfallen und musste luftdurch-
lässig sein. Die große Öffnung wurde am Ende des Einbankens mit Mörtel zugemauert.
In das Schürloch wurden 1 m lange und auch längere Scheite und Stämme gelegt. Das Holz zum Befeuern
der Öfen war teuer. 3 1/2 Tage und Nächte musste durchgeheizt werden. Die Brenner wechselten sich
in der Wache ab. Schließlich wurde die Glut herausgetan und die Steine ließ man einen Tag und eine
Nacht abkühlen.
Der Verkauf:
Die gebrannten Steine wurden in Fässer gefüllt und im Einzelhandel und im Großhandel verkauft. Alois
Rauh aus Buchen fuhr jede Woche einmal mit den Pferden nach Memmingen. Aber auch nach Leutkirch,
Aichstetten, Legau, Kimratshofen und Kempten (auch per Bahn) wurden die Fässer geliefert.
In 3 bis 4 Wochen war der Kalk meistens weg. Die ungelöschten Kalksteine durften nicht lange aufbe-
wahrt werden, denn sie zerfielen und verloren an Qualität. Für Privathaushalte wurden die Steine
auch pfundweise verkauft. Man musste die Kalksteine vorsichtig mit Wasser löschen, denn sie wurden
dabei kochend heiß. Zurück blieb dann eine weiße Kalkmilch, die zum Mauerbau verwendet wurde. Ein
Brand ergab 70 bis 80 Fässer zu je 3 Zentner. Ein Fass gebrannter Kalksteine kostete 6,00 RM.
Mit dem Aufkommen der industriellen Kalkproduktion Ende des 19. Jahrhunderts kam die Kalkbrennerei
in Schrattenbach und Probstried zum Erliegen.
Autor: Remigius Rauch, Schrattenbach, mit freundlicher Genehmigung.
Bei Ussenried
Bei Schrattenbach
Historischer Hinweis zu dem Kreuz
Schrattenbach