Der "Rankwirt" war das legendäre Gasthaus im Kreuzthal
Es war im Mai 1957, da eröffnet Sidonie Kolb direkt an der Ecke zum Ulmertal das Gasthaus "Lamm". Die Ecke, auf schwäbisch "Rank", gibt dem Gasthaus seinen Namen. Als "Rankwirt" wird das Lokal weit über das Tal hinaus bekannt, ist zentraler Treffpunkt und immer gut besucht. Hier trifft man sich nach der Arbeit, nach dem Kirchgang und diskutiert am Stammtisch. In der gemütlichen Gaststube geht es fast familiär zu, und bei dieser Wirtin fühlt sich jeder zu Hause.
"Meinen 50sten Geburtstag habe ich dort noch gefeiert", sagt Max Schad, Jahrgang 1926.
"Da war richtig Stimmung", erinnert sich Karl, der Sohn der Wirtin. "Einer spielte Schunkellieder auf dem Akkordeon und im Flur dudelte die Musikbox. Direkt über der Musikbox nistete ein Schwalbenpaar in der Wandlampe. Da konnte es in der Wirtsstube noch so laut zugehen, die Schwalben störte es nicht. Nur das Fenster musste offen sein, damit die Schwalben raus- und auch wieder reinfliegen konnten".
Der Rankwirt hat das erste Telefon im Tal und bei ihm steht der erste Fernseher. Gäste aus Winterstetten, Friesenhofen und sogar aus Rohrdorf sehen sich hier "So weit die Füße tragen" an, den unvergessenen Fernsehfilm, der die Geschichte des deutschen Kriegsgefangenen Clemens Forell in Russland erzählt. Da bleibt in der Wirtsstube kein Platz frei, denn viele der Gäste haben die Kriegszeiten selbst miterlebt. Sie verfolgen Woche für Woche gespannt den 8-teiligen "Strassenfeger".
Die letzten Gäste sollen für den Film noch durchs Fenster geklettert sein. Der Rankwirt gilt zu jener Zeit - es sind die wilden 60er - als Geheimtipp. Zum jährlichen Hausball am Fasching kommt jeder, der noch irgendwie ein Tanzbein schwingen kann und sei es, um nur ein paar Halbe zu heben und einen Blick auf die fesche Bedienung zu werfen. Die zwei Fremdenzimmer, wie damals üblich mit Waschschüssel und Krug, sind dann ausgebucht. Das eigene Schlafzimmer dient als Garderobe, wo unter einem Berg von Mänteln schon mal die Zipfelmütze des schlafenden Wirts hervorschaut.
Eine Sperrstunde biem Rankwirt ? Die gibt es nicht. Oft erst spät in der Nacht suchen beschwipste Zecher und müde Tänzerinnen mit einer Laterne den Weg nach Hause.
Das Bier für die Gäste liefert die Brauerei Stolz aus Isny. "Die haben uns sehr unterstützt", sagt anerkennend Karl und fügt hinzu: "Sechzig Mark Pacht zahlte Mutter an die Brauerei und die wurde zwanzig Jahre lang nicht erhöht." Als Anfang der 70er direkt gegenüber der Skilift Blockwiesen in Betrieb geht, ist auch im Winter tagsüber die Stube voll besetzt. Für die Wirtin bedeuted das guten Umsatz, aber ebenso viel Arbeit. Manchmal denkt sie ans Aufhören, doch die Gäste sind damit nicht einverstanden. Fünfmal trifft sie den Entschluss, zu schliessen und fünfmal verschiebt sie ihn wieder. Dann, Ende der 70er, ist endgültig der letzte Tag gekommen. Der Bayerische Rundfunk reist extra an und Rundfunksprecher Richard Schlosser verkündet über s Radio den Zuhörern im ganzen Land:"Der Rankwirt, das legendäre Gasthaus im Kreuzthal, hat heute seine Gaststube für immer geschlossen."
Mit freundlicher Genehmigung von der Redaktion der Kreuzthaler Nachrichten.
Solche Gasthäuser und eine solche Stimmung gibt es in unserer Zeit voller Indivudualisten und Mega-Events nicht mehr.